Wort zum Sonntag Oculi
Die Bibel berichtet im ersten Buch der Könige vom Propheten Elia:
Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte.
Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast!
Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort.
Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Ginster und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter. Und er legte sich hin und schlief unter dem Ginster. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss! Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen.
Und der Engel des HERRN kam zum zweiten Mal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.
Und er kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des HERRN kam zu ihm: Was machst du hier, Elia? Er sprach: Ich habe geeifert für den HERRN, den Gott Zebaoth; denn die Israeliten haben deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet und ich bin allein übrig geblieben, und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen. Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR ging vorüber. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle. (1. Könige 19, 1-13)
„Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.“ Elia, der Prophet Gottes, braucht einen Engel, der ihm Mut macht. Elia will sterben. Er ist erschöpft, kraftlos, deprimiert – und er geht einer ungewissen Zukunft entgegen.
„Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.“ Vielleicht bräuchten wir auch so einen Engel, der uns stärkt auf unserem Weg und uns Mut zuspricht - weil auch wir einer ungewissen Zukunft entgegeneilen. Es sind so viele Unsicherheiten, die auf uns einströmen, Krieg, Klimawandel, Krankheit. Wie einst Elia sind in unseren Tagen viele Menschen auf der Flucht. Zu Tausenden kommen Frauen und Kinder aus der Ukraine, suchen Wohnraum und Aufnahme, um den Bomben zu entrinnen und dem tausendfachen Tod.
Wir fragen uns: Warum wählt der Prophet den Weg in die Wüste, die Einsamkeit, den Tod? Warum wünschte er sich zu sterben? Warum sprach er zu Gott: „Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.“
Um die Not des Propheten zu erahnen, braucht es einen Einblick in seine konkrete Lebenssituation, in die er hineingeraten war. Der Name Elia ist ein Programm. Elia heißt übersetzt „Mein Gott ist Jahwe“. Und der Prophet Elia hat dieses Programm gelebt. Er war ein Verfechter des Jahweglaubens mitten in einer Welt der Naturreligionen und Fruchtbarkeitskulte jener Zeit. Und doch musste auch der Prophet erst lernen und verstehen, was es mit diesem Gott Israels auf sich hat, und mit seinem heilsamen Willen.
In der Bibel wird König Ahab zum Kontrahenten des Propheten. Dieser Ahab war für seine Zeit ein moderner Herrscher. Er regierte im 9. Jahrhundert vor Christus im Nordreich Israel. Unter seiner Herrschaft erlebte das Land eine wirtschaftliche Blüte. In religiöser Hinsicht verhielt sich Ahab eher tolerant. Beides, wirtschaftliche Blüte und religiöse Toleranz, hängen mit der Tatsache zusammen, dass Ahab sich mit Isebel verheirate, einer Tochter des Königs Etbaal von Sidon. Das benachbarte Sidon war eine blühende Handelsmetropole und die Prinzessin Isebel war eine Anhängerin der weit verbreiteten Fruchtbarkeitsreligion, die als weibliche Gottheit die Aschera und als männliches Gegenüber den Baal verehrten. Beide Kultformen wurden von ihrer Seite begünstigt und gefördert. Der Glaube an den Gott Israels hingegen wurde von ihr - mit allen ihr zur Verfügung stehenden Machtmitteln - unterdrückt und angefeindet.
Aschera und Baal waren im Glauben ihrer Anhänger zuständig für die Fruchtbarkeit von Menschen, Vieh und Feldern. Und insofern waren sie auch Wettergötter, zuständig insbesondere für die ausreichenden Regenmengen, die die Felder fruchtbar machten. Die Menschen glaubten, dass sie mit ihren Opferhandlungen die Gottheiten gnädig stimmen könnten, ihnen eine reiche Ernte, gelingende Viehzucht und eigene Nachkommen zu bescheren.
Elija kämpft mit allen Mitteln gegen diese heidnischen Kulte im Land, um die Menschen für den Glauben an Jahwe zu gewinnen. Im sogenannten „Gottesurteil“ auf dem Berg Karmel kann er öffentlich die Machtlosigkeit der Götzen erweisen – mit furchtbaren Folgen für die Baalspriester: 450 von ihnen tötet Elia mit dem Schwert, womit er den Zorn und die Rache der Königin Isebel heraufbeschwört.
Blut klebt an den Händen des Propheten. Isebel sendet einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast! Elia ist seines Lebens nicht mehr sicher. Er ist zu weit gegangen mit seinem Eifer. Aus dem Triumph wird ein Desaster. Er hatte versagt. Aber Gott kümmert sich auch um Versager. Auch sie haben bei ihm eine Zukunft. „Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.“
Der weiße Ginster der Wüste ist eine sehr robuste Pflanze mit tiefen Wurzeln, die auch im kargen Wüstenboden noch Wasser finden, um zu überleben. Im Schatten eines solchen Strauchs, allein und auf sich selbst gestellt, erkennt der Prophet sein Versagen. Nicht der Tod ist der Wille seines Gottes, sondern das Leben. Jahwe ist der Schöpfer allen Lebens. Seine Liebe verleiht allem Leben seine unveräußerliche Würde. Er allein und nicht der Mensch ist und bleibt Herr über Leben und Tod. Dieser Gott ist kein Gott des Schwertes, keiner, der Blutvergießen und Gewalt duldet. Wer 450 Menschen abschlachtet, wer Bomben wirft auf die Zivilbevölkerung, wer humanitäre Hilfe verweigert, der vergeht sich gegen die Menschlichkeit und gegen diesen Gott.
„Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.“ Der Engel, Bote dieses Gottes, begnügt sich nicht mit Worten des Trostes und der Ermunterung. Er bringt Wasser und geröstetes Brot. In der Einsamkeit der Wüste wird Wasser und Brot zu einer elementaren Voraussetzung des Überlebens. Ohne Wasser kein Leben. Ohne Brot nur Hunger. Aber das frisch geröstete Fladenbrot der Wüstennomaden, frisch gebacken in der Glut des Lagerfeuers, weckt die müden Lebensgeister, bringt neuen Mut und neue Hoffnung.
Ich denke an das Abendmahl, das Jesus als Gemeinschaftsmahl eingesetzt hat und das uns als seine Jünger in der Gemeinde vor Ort und weltweit verbindet. Auch Brot und Wein im Abendmahl sollen uns trösten, stärken, ermutigen für unseren Weg in die Zukunft. Sie sind Zeichen für die Liebe Gottes, die Versöhnung will, den Frieden sucht, das Verständnis füreinander, die Zuwendung zueinander. Durch Brot und Wein will Jesus Christus uns zeigen, dass wir einen guten Hirten haben auf dem Weg durch finstere Täler, einen Hirten, der uns mit seinen Augen leitet im Geist seiner Liebe.
Elia findet neue Kraft und neue Hoffnung. Wasser und Brot aus Engelshand stärken ihn für seinen Weg, der vierzig Tage und vierzig Nächte zum Berg Gottes führt. Die Zahl 40 steht in der Bibel für eine Zeit der Entscheidung, einer Wende zum Guten. Vierzig Jahre braucht der Weg des Gottesvolkes durch die Wüste, bis es endlich in das gelobte Land einziehen kann. Vierzig Tage fastet Jesus in der Wüste und wird vom Teufel in Versuchung geführt, bis er seine Wirksamkeit beginnt, Jünger beruft und den Menschen in Wort und Tat die Botschaft von Gott als einem liebenden Vater verkündigt.
Nach vierzig Tagen in der Wüste muss Elia am Horeb lernen, dass sein Gott nicht in den Naturgewalten zu finden ist, nicht im Sturmwind, nicht im Erdbeben, nicht im vernichtenden Feuer. Das alles passt nicht zu einem Gott des Lebens und der Liebe. Elia erkennt Gott in einem stillen, sanften Sausen. Und Gott zeigt sich auch heute in allen tröstenden Worten, in der jeder zarten Berührung, in der hingebungsvollen Zuwendung. Er zeigt sich im Dienst am Frieden, im Geist der Versöhnung, da, wo Gewalt überwunden, wo Schuld vergeben wird und Verletzungen heilen.
Auch für uns hat Gott Engel bereit, Boten Gottes, die uns ansprechen und aufmuntern. Sie geben uns Kraft und Zuversicht für unseren Weg in die Zukunft. Und auch dann, wenn alles vergeht, wenn wir mit unserem Latein am Ende sind, wenn Depressionen und niederdrücken, wenn Zukunftsangst umgeht und Hoffnungslosigkeit sich breit machen will, wenn Trauer uns anficht, wenn die Not am größten ist, dann wird Gott mit seinen Engeln bei uns sein. Und vielleicht werden auch wir diese Worte hören: „Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.“ Amen.
Ihr Pfarrer Rainer Janus