Wort zum Sonntag – Misericordias Domini

Der Evangelist Johannes berichtet von der dritten Begegnung der Jünger mit dem Auferstandenen:

Da sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr, als mich diese lieb haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer!

Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!

Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!

Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst. Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach! (Joh. 21, 15-19)

Das Gespräch, das unser Bibelwort berichtet, findet am frühen Morgen am See Genezareth statt. Petrus und andere aus dem Jüngerkreis haben sich nach den Ereignissen in Jerusalem zunächst wieder an die Arbeit gemacht. Sie waren in ihr Berufsleben als Fischer zurückgekehrt, denn sie waren noch immer ratlos und außerdem mussten sie sich um den Lebensunterhalt kümmern. Alltag war angesagt. Aber in diesem Alltag erscheint ihnen der auferstandene Jesus zum dritten Mal. Und mit dieser Erscheinung wandelt sich ihr Alltag.

Die Enttäuschung über eine geringe Ausbeute beim Fischfang muss einer frohen Stimmung beim gemeinsamen Mahl am Seeufer weichen. In dieser Runde wird nun Simon Petrus persönlich angesprochen: Dreimal stellt Jesus ihm die Frage: Hast du mich lieb? Und dreimal erhält er den Auftrag: Weide meine Schafe!

Für den Hörer dieses Bibelwortes ist es zunächst einmal unverständlich, warum Jesus dreimal fragt, und Petrus dreimal antworten muss. Verständlich wird das erst, wenn wir uns daran erinnern, dass derselbe Simon Petrus zuvor seinen Herrn dreimal verleugnet hatte.

Simon gehörte zusammen mit seinem Bruder Andreas zu den ersten Jüngern Jesu. Hier am See Genezareth hatte er sie als Menschenfischer in die Nachfolge gerufen. Innerhalb des Jüngerkreises gehörte Simon immer zu denen, die besonders im Vordergrund standen.

Mit Jesu Leiden und Sterben brach für ihn jedoch eine Welt zusammen. Er bringt zwar den Mut auf, seinen Herrn nach der Gefangennahme im Garten Gethsemane zu folgen bis in den Hof des Hohenpriesters. Dort aber verlässt ihn der Mut. Er wagt es nicht, sich zu seinem Herrn zu bekennen. Die Angst ist größer als der Glaube. Er sagt lieber die Unwahrheit. Erst der Hahnenschrei erinnert ihn daran, dass Jesus ihm diese Treulosigkeit bereits angekündigt hatte.

Dieser Simon Petrus wird durch dieses Gespräch mit Jesus hier am Ufer des Sees rehabilitiert. Sicher, dieser Simon Petrus ist ein Versager. Aber dieses Versagen ist für Jesus kein Grund, sich von ihm zu trennen. Von neuem erhält er den Auftrag zum Dienst am Menschen: „Weide meine Schafe.“

Dieses Bild von der Arbeit eines Hirten kommt in der Bibel recht häufig vor. Der gute Hirte trägt Sorge für die Herde. Er übernimmt Verantwortung für andere. Jesus legt nun dieses Hirtenamt in die Hände von Menschen. Er will, dass Menschen Sorge tragen und Verantwortung übernehmen für andere. Wenn wir nun heute an dieses Hirtenamt denken, dann kommen uns unwillkürlich die Pfarrerinnen und Pfarrer in den Sinn, die ja auch Pastoren, also Hirten genannt werden. Oder wir denken an die kirchenleitenden Bischöfe oder gar an den Papst, der für sich in Anspruch nimmt, das Hirtenamt jenes fehlbaren Menschen namens Simon Petrus weiterzuführen und damit Gutes zu bewirken.

Aber wir sollten unsere Gedanken nicht so sehr weit in die Ferne schweifen lassen. Denn ein jeder von uns ist angesprochen. Dieses Gespräch am Seeufer steht ja nicht nur deshalb in der Bibel, damit wir erfahren, wie Jesus mit Simon Petrus umgegangen ist. Dieses Gespräch betrifft auch uns. Die Rehabilitation des Petrus ist ein Programm: Jesus nimmt Versager in seinen Dienst.

Dieser Simon Petrus ist nicht besser als unsereins. In ihm spiegelt sich unser eigenes Versagen. Und in ihm spiegelt sich auch die Gnade und Barmherzigkeit Jesu, der uns alle in seine Nachfolge gerufen hat und der uns alle mit der Aufgabe dieses Simon Petrus betrauen will: Weidet meine Lämmer! Weidet meine Schafe! Tragt füreinander Sorge und übernehmt Verantwortung für Eure Mitgeschöpfe. Mit Petrus sind wir alle ins Hirtenamt gerufen. Die einzige Voraussetzung, an die dieses Amt geknüpft ist, das ist, dass wir mit einstimmen können in die Antwort des Simon Petrus: „Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“

Und damit kommen wir noch einmal zurück zur Person dieses Simon Petrus: Wie kommt es eigentlich, dass der Verräter nach nur wenigen Tagen seinem Herrn die Liebe und Treue erklären kann. Wie kommt es zu diesem Umschwung? Spricht Petrus heute so und morgen anders?

Ich denke, Petrus hat diese Frage mit seinem Leben beantwortet. Er hat sich führen und leiten lassen von dem, der ihm sein Versagen vergeben hat und ihn trotz allem liebt. Dieser Umschwung in seinem Leben hat offenbar damit zu tun, dass Petrus sein Versagen eingesehen hat. Sein Versagen konnte so zu einem Stück Lebenserfahrung werden, eine Lebenserfahrung, die ihn weitergebracht hat.

Simon Petrus hatte auch weiterhin mit Schuld und Versagen, mit Glaubenszweifel und mangelndem Gottvertrauen zu kämpfen. Aber: Er hat die frohe Botschaft vom Kreuzestod und Auferstehung in die Welt hinausgetragen bis nach Rom. Und unser heutiges Bibelwort deutet es bereits an: Simon Petrus ist für seinen Herrn den Märtyrertod gestorben.

Wenn Menschen heute in die Irre geführt werden von Verschwörungstheorien, wenn sie mit falschen Informationen in den Krieg geführt werden, dann sind schlechte Hirten am Werk, die Böses im Schilde führen, Vernichtung und Tod. Der gute Hirte führt uns durch den Tod zum Leben.

Jesus Christus ruft auch uns in die Nachfolge. Wir dürfen ihm leben und im Geiste seiner Liebe an seinem guten Hirtenamt in dieser Welt mitwirken. Wie er selbst dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott uns liebt, uns unser Versagen, unsere mangelnde Glaubenstreue vergibt. Ihm dürfen wir unser Leben von neuem anvertrauen, denn er ist unser guter Hirte, unser treuer Begleiter und Freund in guten wie in schweren Tagen.

Ich möchte schließen mit einem Wort von Martin Luther, der dem guten Hirten unseres Lebens wohl manchmal ins Herz blicken konnte: Sünder – sagt Luther – sind schön, weil sie geliebt werden. Sie werden nicht geliebt, weil sie schön sind, sondern sie sind schön, weil sie geliebt werden. Amen.

Ihr Pfarrer Rainer Janus