Wort zum Sonntag Judika

Viele kennen den Namen des Sonntags Judika, weil sie an diesem Sonntag das Fest ihrer Konfirmation gefeiert haben. "Judica mei" ist die lateinische Aufforderung an Gott: "Schaffe mir Recht". Wir bitten Gott, dass er uns und dieser ganzen Welt Gerechtigkeit schenkt.

Gerechtigkeit ist die Basis des Friedens und das Miteinander von Menschen guten Willens. Deshalb wird der Gottesdienst in unserer Gemeinde als Friedengottesdienst gestaltet.

Der Evangelist Markus berichtet vom Herrschen und vom Dienen - und von den Jüngern Johannes und Jakobus. Jesus erklärt ihnen die Spielregeln für das Reich Gottes, das ein Friedensreich ist:

Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen zu ihm: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, was wir dich bitten werden. Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue? Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.

Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir.

Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das zu geben steht mir nicht zu, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.

Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele. (Markus 10, 35-45)

Wo Menschen sind, da menschelt es. Und „menscheln“ bedeutet laut Duden, dass menschliche Schwächen deutlich werden. Auch unter den Jüngern Jesu menschelt es. Auch die Jünger Jesu zeigen menschliche Schwächen.

So wie im wirklichen Leben will jeder seinen Platz an der Sonne. Und wenn es etwas zu verteilen gibt, will jeder das größte Stück für sich. So wollen Jakobus und Johannes obenan sitzen im Reich Gottes. In ihren Gedanken ist dieses Reich Gottes so wie ein Reich dieser Welt. Da gibt es ein Oben und ein Unten, da gibt es Gewinner und Verlierer, da gibt es Macht und Angst.

Mir scheint, dass Jesus auf diesen Wunsch dieser beiden Jünger mit einer gewissen Gelassenheit eingegangen ist. Er weist ihn jedenfalls nicht spontan zurück. Er sagt: „Wenn ihr zur Rechten und zur Linken sitzen wollt, dann müsst ihr auch die Voraussetzungen dafür mitbringen.“

Was für Voraussetzungen? Darüber haben die beiden Jünger sich noch keinerlei Gedanken gemacht. Und Jesus sagt zu ihnen: „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde?“

Die Antwort kommt schnell, so schnell, wie vielleicht nur junge Menschen so eine Antwort geben können: „Ja, das können wir.“ Was aus diesem ebenso beherzten wie vollmundigen Bekenntnis geworden ist, wissen wir. Auch sie haben im Garten Gethsemane geschlafen und haben die Flucht ergriffen, als Jesus gefesselt und weggeführt wurde.

Taufe und Kelch sind Bilder für das Leiden und den Tod, den Jesus am Kreuz auf sich nimmt. „Ja, das können wir.“ Von einem der beiden Brüder wissen wir aus der Geschichte, dass er als Märtyrer seinem Herrn in den Tod gefolgt ist. Jakobus wurde im Jahr 44 n. Chr. hingerichtet. Seine Gebeine ruhen angeblich in Santiago de Compostella, und viele Menschen begeben sich noch heute auf den Pilgerweg nach Nordspanien.

Bei Dietrich Bonhoeffer heißt es: Und reichst du uns den schweren Kelch den bittern, des Leids gefüllt bis an den höchsten Rand. So nehmen wir in dankbar ohne Zittern, aus deiner guten und geliebten Hand! Bonhoeffer hat diese Zeilen nur wenige Wochen vor seinem Tod geschrieben und er ahnte wohl, dass er jene Zeit nicht überleben würde.

Aber Jesus vergibt keine Ehrenplätze in Gottes Reich, weder für Pilger, noch für Märtyrer, denn sein Reich ist nicht von dieser Welt. Im Reich Gottes gibt es kein Oben und Unten, keine Unterdrücker und keine Unterdrückten. Im Reich Gottes gibt es keine Verlierer, sondern nur Gewinner. Gottes Reich ist ein Friedensreich.

Jesus erklärt: „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht, sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein.“ Dienen qualifiziert einen Menschen für das Reich Gottes und nicht das Herrschen. Nächstenliebe ist die Waffe Gottes und nicht Panzer und Raketen. Und nur die dienende Nächstenliebe gibt unserem menschlichen Leben Sinn und Ziel über den Tod hinaus.

Liebe begleitet unser Leben vom ersten Atemzug an. Wie oft haben Vater und Mutter uns die Schuhe gebunden, die Hosen gewaschen, das Essen gekocht. Wie viele Handgriffe waren nötig, bis wir alt genug waren, um auf eigenen Beinen zu stehen. Es waren Hände von Menschen, die es gut mit uns meinen, die uns getragen, bedient, begleitet und geführt haben auf den Wegen des Lebens: Eltern, Großeltern, Paten, die Erzieherin im Kindergarten, der Lehrer in der Schule. In diesen Händen ist etwas zu spüren von der Liebe, die bei Gott zählt.

Und diese Welt braucht nichts mehr als den Geist der Liebe. Ich denke dabei an das Schicksal so vieler Menschen, die zu Opfern werden. Ich denke an die Menschen, die auf der Flucht sind, um eine Ort zu finden, wo sie sicher und in Frieden wohnen und leben können, an alle, die liebe Menschen zurücklassen und verlieren, einem ungewissen Schicksal entgegeneilen. Und ich denke auch an die christlichen Gemeinden in den Kriegsgebieten, die helfen wollen und mit leeren Händen dastehen.

Nun mag vielleicht jemand einwenden und sagen: Wenn das Schicksal dieser Welt allein in den Händen von Menschen liegt, dann ist es schlecht um sie bestellt. Das ist sicher richtig – und was Menschenhände anrichten können, das wissen wir, wenn wir Tag für Tag die Nachrichten verfolgen und die Schreckensbilder der Zerstörung und des Todes sehen.

Aber Gott, der Schöpfer und Erhalter allen Lebens, lässt seine Schöpfung nicht allein. Er hat seine Hände mit im Spiel. Und er geht seinen Weg der Liebe, genauso wie Jesus seinen Weg ans Kreuz gegangen ist.

Er hält unser persönliches Leben und unsere Zukunft in seiner Hand. Ganz egal, was aus uns wird, ganz egal, ob unsere Hände immer das Richtige tun, oder auch versagen. Gott lässt uns nicht fallen. Er will, dass wir am Ende alle auf der Siegertreppe stehen. Aber, was vor Gott zählt ist eben nicht Macht oder Geld, sondern allein die Liebe, die in unseren Herzen wohnt. Amen.

Ihr Pfarrer Rainer Janus