Wort zum Sonntag – Jubilate 08.05.22

Jubilate! Freut euch! Jubelt! Freuen können wir uns über alles was ist, was wächst, was gelingt. Aber es gibt auch das andere, das, was Sorgen macht, was uns zurecht ängstigt.

In unserem heutigen Bibelwort geht es um die Entstehung der Welt, über die wir uns freuen können, und um die besondere Rolle des Menschen in der Schöpfung, die Gott uns zugedacht hat.

Ganz am Anfang, im ersten Buch der Bibel lesen wir:

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. …

Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.

Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht. … Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. …

So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer. Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte. Dies ist die Geschichte von Himmel und Erde, da sie geschaffen wurden. … (1. Mose 1,1- 2,4 in Auszügen)

Diese Erzählung von der Schöpfung der Welt durch die Hand Gottes wurde aufgeschrieben in einer Situation, in der das jüdische Volk ernsthaft an der Macht Gottes zweifelt: Militärisch vernichtend geschlagen, politisch bedeutungslos geworden und aus der Heimat deportiert, fragt man sich: Hat der Gott Israels sein Volk nicht schützen wollen oder ist es denkbar, dass er es gar nicht schützen kann? Ist er überhaupt mächtig genug, sich gegen die Götter der Siegermächte behaupten zu können?

In dieses zweifelnde Fragen hinein legt die Erzählung von der Erschaffung der Welt ein Bekenntnis ab zum Gott Israels als dem Schöpfer und Herrn des gesamten Kosmos. Gott ist nicht einfach nur der Gott Israels, der sich mit den Göttern der anderen Völker auseinandersetzen muss, nein, Gott ist der einzige Gott. Herr über alles. Neben ihm gibt es keine anderen Götter. Er ist die einzige Instanz, die Bestand hat in der Vergänglichkeit, die einzige Instanz auf die ich mein Vertrauen setzen kann.

Er macht die Erde bewohnbar, er schafft alles Leben und mit einem besonderen Auftrag den Menschen in der Polarität von Mann und Frau zu seinem Ebenbild: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über sie.

Alle Völker und Kulturen haben solche Erzählungen von der Entstehung der Welt. Es sind Antworten auf die alte Menschheitsfrage: Woher komme ich eigentlich? Wir kommen ins Staunen über das Leben und die Natur und fragen, wie ist das alles entstanden. Welche Kraft steht dahinter?

Das jüdische Volk wurde in den Jahren der Kriegsgefangenschaft in Babylonien mit solchen Schöpfungsmythen konfrontiert. Es sind phantasievolle Erzählungen, bei dem durch dramatische Ereignisse im Götterhimmel die Erde und das Leben auf der Erde entstehen.

Die Bibel sagt nun: Diese Schöpfungsmythen und Göttergeschichten sind Produkte menschlicher Phantasie. Es gibt nur einen Gott. Und dieser eine Gott ist der Schöpfer allen Lebens. Er gibt seiner Schöpfung eine gute Ordnung, Lebensraum für alle und einen sinnvollen Lebensrhythmus in der geregelten Abfolge von Arbeit und Ruhe.

Wenn Gott aber der einzige und absolute Herrscher über den Kosmos ist und der Mensch als sein Ebenbild gemacht, ist der Mensch dann nicht ganz natürlich der Herrscher über die Erde und alles, was auf ihr lebt?

Machet euch die Erde untertan und herrschet über sie! Wenn es jemals einen Auftrag Gottes gegeben hat, den der Mensch mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ausgeführt hat, dann diesen. Aber - hat der Mensch diesen Auftrag Gottes auch verstanden? Was bedeutet es, Ebenbild Gottes zu sein?

Ist das Ebenbildsein an bestimmte menschliche Fähigkeiten, etwa die Fähigkeit zu denken oder an den freien Willen gebunden - und nur der Mensch ist im vollen Sinne Ebenbild, der diese Fähigkeiten besitzt - oder ist das Ebenbild-Gottes-Sein eine, nicht an Bedingungen geknüpfte, unverlierbare Würde jedes Menschen?

Und was heißt „macht euch die Erde untertan“? Heißt das etwa, sich seine Mitgeschöpfe zu Untertanen zu machen, wie mittelalterliche Fürsten ihre Völker bluten ließen, damit sie selbst in allen Annehmlichkeiten leben konnten?

Herrschen im Sinne Gottes bedeutet: Verantwortung für diese Welt zu übernehmen. Die Ordnung zu begreifen versuchen, die dem Ganzen zugrunde liegt, und im Sinne des Schöpfers darüber zu wachen, dass seine Geschöpfe ihr Lebensrecht und ihren nötigen Lebensraum bekommen und behalten!

Sieht man auf den momentanen Zustand der Schöpfung, so wird sofort klar: Das, was der Mensch daraus gemacht hat, kann Gott mit seinem Auftrag nicht gemeint haben! Wenn das, was Gott geschaffen hat, sehr gut war, so zeigt diese Welt heute die Folgen eines beispiellosen Machtmissbrauchs. Die Menschen haben sich an der Schöpfung vergriffen, haben Raubbau betrieben und sie zerstören den Lebensraum, der ihnen nicht allein gehört. Was noch werden wird, wenn der Mensch die Schöpfung selbst in die Hand nimmt, das wissen wir noch nicht. Wir wissen noch nicht, ob jemals über alles Menschengemachte das Urteil gesprochen wird: „Siehe, es war sehr gut.“

Dem Größenwahn von wenigen steht die zunehmende Sorge und Angst vor der Zukunft sehr vieler Menschen gegenüber. Und dabei denke ich - heute 77 Jahre nach dem Kriegsende am 8. Mai 45 - auch an die Zerstörung, die Waffen anrichten, wenn ein Land mit Krieg überzogen wird. Was mühsam und teuer aufgebaut wurde, was Heimat bedeutet hat, wird im Hagel von Bomben und Raketen zur Ruinen.

Können wir als einzelne Menschen dieser fatalen Entwicklung etwas Wirkungsvolles entgegensetzen? Und können wir als Einzelne etwas ausrichten? Manch einer ist entmutigt und sagt: Als Einzelner wohl kaum. Aber ich denke: Es hat auch etwas mit meiner Lebensqualität zu tun, wenn ich mein Leben schöpfungsgemäß ausrichte. Wir sind Teil der Natur, wir leben mit der Natur und nicht gegen sie. Und wir können dann auch unbeschwerter genießen, was die Natur uns schenkt. Glück liegt im Einklang.

Ich erlebe, dass insbesondere junge Menschen sehr verunsichert sind durch die Pandemie und durch den Krieg. Eine Unsicherheit breitet sich aus und bestimmt in verschiedenster Weise unser aktuelles Lebensgefühl. Fragen nagen an unserer Zukunft. Müssen wir in Zukunft auf Komfort verzichten? Ist der Höhepunkt unseres Wohlstands überschritten? Stürzt unsere Wirtschaft in eine Rezession? Und was bedeutet das für uns, wenn der Euro keinen Pfennig mehr wert ist?

Ich denke, gerade in Zeiten der Unsicherheit kann die Botschaft der Bibel weiterhelfen. Die Bibel sagt: Das, was Gott am Anfang in Liebe geschaffen hat, das wird er auch bewahren. Und Gott hat sein Schöpfungswerk nach dem sechsten Tag nicht beendet. Das Wunder neuen Lebens ereignet sich Tag für Tag neu. Die Schöpfung geht weiter. Das zeigt uns Gott in seinen Sohn, den er gesandt hat in diese Welt, damit wir seine Liebe erkennen und in seiner Liebe Leben. In der Liebe leben, heißt schöpfungsgemäß leben. Durch die Liebe in Jesus Christus hat Gott eine neue Schöpfung begonnen, eine neue Zukunft eröffnet. Die Ohnmacht der Liebe wird alle Lieblosigkeit überwinden. Er lädt uns ein, im Geist der Liebe diese Welt neu zu denken und neu zu gestalten – in der Gewissheit, dass der gute Hirte allen Lebens uns nicht im Stich lassen wird. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Amen

Ihr Pfarrer Rainer Janus