Wort zum Sonntag Estomihi
Der Evangelist Markus berichtet:
Und Jesus fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen.
Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh hinter mich, du Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben behalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's behalten. Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln. (Markus 8, 31-38)
Jesus ist auf seinem Weg ganz im Norden des Landes Israel angekommen. Dort liegt an einer der Jordanquellen am Fuße der Golanhöhen die römische Stadt Caesarea Philippi. Jesus hält sich mit seinen Jüngern in den Dörfern in der Nähe auf. Und in einem dieser Dörfer wird nun erstmals öffentlich ausgesprochen, was kaum einer zu hoffen gewagt hatte: Du bist der Christus. So sagt es Petrus, wohl stellvertretend für die anderen Jünger.
Man kann sich vorstellen, dass Petrus damals die nahe Stadt mit ihren römischen Bewohnern im Blick hatte. Das römische Friedensreich wurde mit militärischer Gewalt aufrecht erhalten. Für die eroberten Völker war der römische Friede mit Unterdrückung, Ausbeutung und Demütigung verbunden. Von diesen Römern würde der Christus - oder auf Hebräisch: der Messias - das Volk Gottes befreien. Das war die Hoffnung, die so viele Menschen im Lande Israel hegten.
Der von Gott gesalbte König, so stellten sich die Juden das damals vor, würde sein eigenes Friedensreich aufbauen und in ihren Hoffnungen war dann Jerusalem die Hauptstadt des messianischen Friedensreiches und natürlich die heidnischen Römer die Unterdrückten und Ausgebeuteten und Gedemütigten.
Aber Jesus sprach nun plötzlich vom Leiden und machte sich auf, den Weg nach Jerusalem einzuschlagen, wo er am Kreuz für unsere Schuld sterben sollte. Kein Wunder, hielt Petrus die Zeit für gekommen, ein ernstes Wort mit Jesus zu reden - unter vier Augen, versteht sich. Und so nimmt der Jünger Simon Petrus seinen Herrn und Heiland beiseite und versucht, ihm die Sache mit dem Leiden auszureden. Der Gedanke an Leiden und Sterben passte nun einmal nicht in seine menschlichen - vielleicht allzu menschlichen - Vorstellungen.
Aber Jesus distanziert sich von Petrus mit den harten Worten: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
Nach menschlichem Ermessen kann Waffengewalt nur mit Waffengewalt beantwortet werden. Das Sprichwort sagt: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Und es waren die Zeloten, die in jener Zeit einen bewaffneten Widerstandskampf gegen die römische Besatzungsmacht führten. Aber Gott sagt Nein zu aller Waffengewalt. Schwerter sollen zu Pflugscharen werden, denn der Auftrag des Menschen ist diese Erde zu bebauen und zu bewahren, nicht, sie zu zerstören.
Es gibt da offenbar einen entscheidenden Unterschied zwischen den Gedanken Gottes und unseren menschlichen Gedanken; und zwischen den Wegen, die Gott mit uns gehen will und unseren menschlichen Wegen. Gott geht in Jesus den Weg der Liebe, die Leid und Schmerz auf sich nimmt. Und das heißt: Wir haben einen Gott, der unser menschliches Leid kennt. In Jesus hat Gott selber gelitten, bis hin zum bitteren Schmerz des Todes. Und wir haben seine Verheißung, dass er bei uns sein will, alle Tage, bis an der Welt Ende. Dass er mit uns gehen will, durch Freude und Leid. Dass er uns auch in der Nacht des Todes nicht allein lässt, sondern uns an der Hand nimmt und uns führt, durch den Tod hindurch zu unserem neuen und ewigen Leben.
Die Erfahrung von Trauer und Leid gehört zur Wirklichkeit unseres Lebens einfach dazu. Aber durch Gottes leidenden Knecht hat diese Seite unseres Lebens einen ganz besonderen Stellenwert bekommen.
Immer wieder versuchen Mensch in Jesus Christus einen siegreichen Helden, ein strahlendes Vorbild, eine Art Superstar zu sehen. Der leidende Christus, der verachtete, geschundene, verfolgte, in jungen Jahren zu Tode gekommene wird verdrängt. Scharf, wie sonst selten in der Bibel, verbietet sich Jesus solche wohl gut gemeinten, aber ihn völlig missverstehenden Schönheitsoperationen an seinem göttlichen Auftrag.
Vom Satan ist die Versuchung, am Leid dieser Welt und ihrer Geschöpfe einfach vorbeizugehen. Denn Gottes Liebe offenbart sich gerade dadurch, dass er am Leid dieser Welt teilnimmt und das Leiden ihrer Geschöpfe mit leidet.
Im Alten Testament heißt es von Knecht Gottes: Er hatte keine Gestalt noch Schönheit, er war der Allerverachtetste und Unwerteste, zerschlagen und gemartert. Aber er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen.
So ist hinter dem Leiden und der Ohnmacht die große Macht der Liebe verborgen, mit der Gott unsere Gottesferne überbrückt und uns nahe kommt, trotz unserer Sünde und Schuld. Die Bereitschaft, Leiden anzunehmen und Belastungen mitzutragen gehört zur Liebe einfach dazu.
Dem Jünger Petrus war das unangenehm. Aber das Geheimnis der Liebe kann ein Mensch nicht mit dem Verstand begreifen. Es kann nur erfahren, erprobt und wohl auch erlitten werden. Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren, und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten.
Es muss für Simon Petrus schrecklich gewesen sein, mitanzusehen, wie Jesus diesen Weg zu Ende gehen musste, der damals in der Nähe der Römerstadt Caesarea Philippi seinen Anfang nahm: Gebunden, geschunden, die Last seines Kreuzes auf den Schultern. Besonders furchtbar muss es für ihn gewesen sein, dass es römische Soldaten waren, die Jesus hinausführten aus der Stadt Jerusalem auf die Hinrichtungsstätte Golgatha.
Aber noch ein anderes Bild auf diesen Kreuzweg Jesu prägt sich Simon Petrus ein - und dieses Bild sollte wichtig werden für sein weiteres Leben und seinen Dienst der Verkündigung.
Es ist das Bild von jenem jungen Nordafrikaner, der - wie er - den Namen Simon trug und aus Kyrene kam. Sie kennen die Geschichte: Dieser Simon von Kyrene war es, der dem leidenden Christus half, sein Kreuz zu schleppen, als er zum 3. Mal unter der Last zusammengebrochen war. „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach!“
Später hat Petrus sich diesen Simon von Kyrene zum Vorbild genommen. Als Apostel hat er das Leid anderer mitgetragen und am Ende selbst den Märtyrertod erlitten. Das heißt aber nun nicht, dass wir als Nachfolger Jesu Christi alles und jedes einfach akzeptieren und mittragen sollten. Gott ist ein Gott der Gerechtigkeit und des Friedens. Es ist die Pflicht der christlichen Nächstenliebe, Leid wo möglich abzuwenden. Machtmissbrauch, Willkür und Gewalt dürfen vor Gott nicht sein. Aber da, wo Leid unabwendbar ist, sollen auch wir unser persönliches Geschick, unsere durchkreuzten Hoffnungen mutig auf uns nehmen. Und da, wo andere leiden, ist unser Platz als Christen in dieser Welt, dass wir Leid teilen und einander helfen, die Lasten zu tragen.
Gott legt uns mancherlei Last auf. Aber er hilft uns auch, diese Last zu tragen und den Weg der Nachfolge Christi, den Weg der Liebe zu gehen. Amen.
Ihr Pfarrer Rainer Janus