Wort zum Sonntag – 28. Februar 2021

Im Buch des Propheten Jesaja findet sich ein Abschnitt, der „Weinberglied“ genannt wird:

Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.

Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.

Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?

Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er kahl gefressen werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.

Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit. (Jesaja 5, 1-7)

Vielleicht denkt manch einer bei diesem Weinberglied an die Vielfalt von Rebsorten, die hier in unserer Gegend angebaut werden und an den vollmundigen Genuss, den so ein Viertele vom süffigen Müller oder vom samtigen Spätburgunder bietet. Und manch ein Weinkenner und Liebhaber wird ins Schwärmen geraten, wenn er an einen weißen oder grauen Burgunder denkt oder an einen ebenso anspruchsvollen wie unverwechselbaren Gewürztraminer.

Aber ein Rebstock allein macht noch lange keinen Wein. Da ist noch einiges zu tun bis zur anspruchsvoll ausgebauten Spätlese, bis zur silbernen oder goldenen Prämierung, bis zu einem blumigen Bukett und einem eleganten, körperreichen Geschmack mit harmonisch mildem Abgang.

Der Ausbau des Weines im Keller erfordert einen ausgeprägten Weinverstand und viel Erfahrung. Aber das Geheimnis des Weines - und erfahrene Winzer wissen das - das Geheimnis des Weines beginnt schon viel früher: Es beginnt beim Anbau und bei der Pflege des Rebstocks; lange vor der Ernte, vor der Kelterung und vor der Reifung und Lagerung im Keller.

Zum Geheimnis des Weines gehört auch der fachgerechte Rebschnitt. Im Laufe der Wintermonate werden die Ruten am Kopf des Weinstocks entfernt bis auf eine oder zwei, die wiederum auf wenige Augen eingekürzt werden. Später werden dann noch weitere Rückschnitte vorgenommen: Z. B. die Entfernung der unfruchtbaren Geiztriebe.

Ich denke, die Menschen hier in Friesenheim wissen um die Arbeit, die in so einem Weinberg steckt, angefangen von Pflanzung, über die Erziehung, zur Hege und Pflege im Jahreslauf. Und natürlich kennen wir alle auch die Atmosphäre, die Stimmung, wenn im Herbst eine gute Ernte eingebracht wird, wenn all die Mühe und Arbeit ihren Lohn findet.

Auf so einem Erntefest trägt nun der Prophet Jesaja dieses Weinberglied vor. Er singt von der Mühe und Arbeit, die auch die Winzer von damals sehr genau kannten: Aber er hält ihnen gleichzeitig vor Augen: So, wie unsere menschliche Mühe und Arbeit ihren Lohn findet in einer guten Ernte, so möchte auch Gottes Mühe und Arbeit ihren Lohn finden und nicht enttäuscht werden. So wie Menschen ihre Rebstöcke pflanzen, hegen und pflegen und dann auf Frucht hoffen, so hat Gott uns geschaffen und bewahrt, und er hofft nun, dass auch unser Leben Frucht trage, die Frucht der Liebe, die er in uns hinein gepflanzt hat.

Aber mitten in der Freude über die gute Ernte wird die Enttäuschung Gottes spürbar: Seine Pflanzung bringt schlechte Frucht. Statt Rechtsspruch herrscht Rechtsbruch, statt Gerechtigkeit hört man Geschrei über Schlechtigkeit.

Mitten in der heiteren Stimmung erhebt sich eine bange Frage: Warum wird uns diese Leidensgeschichte der Liebe Gottes erzählt? Hat der Prophet das Ende der Geduld des liebenden Gottes anzukünden? Immerhin ist ja davon die Rede, dass der Weinberg verwüstet, Zäune, Mauern, Turm und Kelter dem Erdboden gleichgemacht werden! Hat Gott seinem auserwählten Volk seine Liebe aufgekündigt?

Wir wissen aus der Geschichte, dass das nicht der Fall war: Gottes Liebe und Barmherzigkeit ist größer als sein Zorn. Nach langen Jahren des Exils konnten die Kriegsgefangenen aus dem fernen Babylonien in das verwüstete Land zurückkehren und sich an den Wiederaufbau des Landes und des Tempels machen.

Aber auch und gerade, wenn Gottes Liebe kein Ende hat, sucht Gott unsere Antwort, unsere Erwiderung auf seine Liebe. Sein Leiden an unserer Lieblosigkeit und Gottesferne ist nirgends deutlicher geworden als in der Leidensgeschichte Jesu Christi. In seinem bitteren Tod hat er für unsere Schuld, für die schlechten Früchte unseres Leben gelitten. Das Kreuz Christi ist ein Sieg der Liebe Gottes über unsere Gleichgültigkeit.

Es fällt auf, dass im Lied des Propheten ganz anders von Liebe die Rede ist, als wir das eigentlich gewöhnt sind. Wenn wir das Wort "Liebe" hören, dann denken wir zunächst einmal an etwas Schönes, Angenehmes. Im Lied des Propheten ist die Liebe Gottes mit Mühe und Arbeit verbunden. Da wird Hand angelegt und ein Weinberg eingepflanzt. Da riecht es unangenehm nach Schweiß, und es gibt Schwielen an den Händen. Da wird mühsam gerodet und ein Stein auf den anderen gesetzt.

Und tatsächlich ist ein Leben mit Blick auf den Nächsten mit Sicherheit nicht immer ganz bequem. Aber die Erfahrung eines jeden Weinbauern wird es mir bestätigen: Ohne Mühe und Arbeit gibt es keinen guten Ertrag, keine gute Ernte.

Das andere, was auffällt ist die Emotion, die in den Worten des Propheten deutlich wird. Wir spüren den Zorn Gottes über seine scheinbar vergebliche Mühe und wir spüren auch seinen Kummer und sein Leiden an der Menschheit, in der die einen den anderen das Leben erschweren oder gar zur Hölle machen.

Gott schmerzt es, wenn unser Leben fruchtlos bleibt. Er hat uns mit so vielen wunderbaren Möglichkeiten geschaffen. Mit Worten, die nicht verletzen, sondern trösten. Mit Händen, die nicht zerstören, sondern aufbauen. Mit Augen, die nicht allein das eigene Wohlbefinden, sondern auch das unserer Mitmenschen und Mitgeschöpfe im Blick haben.

Nicht, dass wir damit die Not und die Ungerechtigkeit aus der Welt schaffen könnten. Wir können immer nur Zeichen setzen und auch unsere Liebe wird Enttäuschungen hinnehmen müssen. Aber unser Leben wird in dieser Liebe seine Erfüllung finden und gute Früchte bringen. Und vielleicht finden durch unsere Liebe Menschen zum Glauben zurück zum Glauben an den liebenden und leidenden Gott. Amen.