Wort zum Sonntag – 26. April 2020

Liebe Leserinnen und Leser,

viele kennen den Sonntag Misericordias Domini auch als den Sonntag des guten Hirten.

Gott ist der gute Hirte allen Lebens. Dieses Motiv zieht sich durch die ganze Bibel hindurch: Im Alten Testament heißt es im 23. Psalm „Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ und im Neuen Testament sagt Jesus: „Ich bin der gute Hirte.“

Misericordias bedeutet übersetzt „Barmherzigkeit“ oder „Güte“. Ursprünglich stammt der Name des Sonntags aus dem 33. Psalm, wo die Freude über Gottes Gerechtigkeit zum Ausdruck kommt mit den Worten: „die Erde ist voll der Güte des HERRN“.

Nun fällt es vielen Menschen schwer, die „Güte des HERRN“ in unserer Welt zu entdecken. Und in ganz besonderem Maße galt und gilt das für die Menschen, die nicht die Freiheit haben, ihr Leben selbst zu gestalten. Das Bibelwort zur Predigt an diesem Sonntag richtet sich ursprünglich interessanterweise an Sklaven. Im 1. Petrusbrief lesen wir:

Ihr Sklaven, ordnet euch in aller Furcht den Herren unter, nicht allein den gütigen und freundlichen, sondern auch den wunderlichen. Denn das ist Gnade, wenn jemand um des Gewissens willen vor Gott Übel erträgt und Unrecht leidet. Denn was ist das für ein Ruhm, wenn ihr für Missetaten Schläge erduldet? Aber wenn ihr leidet und duldet, weil ihr das Gute tut, ist dies Gnade bei Gott.

Denn dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen; er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand; der, als er geschmäht wurde, die Schmähung nicht erwiderte, nicht drohte, als er litt, es aber dem anheimstellte, der gerecht richtet; der unsre Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben.

Durch seine Wunden seid ihr heil geworden. Denn ihr wart wie irrende Schafe; aber ihr seid nun umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen. 1. Petr 2,18–25

Die Bibel kennt Knechtschaft und Sklaverei, aber sie kann sie nicht gut heißen. Im Gegenteil, in der ganzen Bibel ist von einem Gott die Rede, der mitleidet am Elend seiner Geschöpfe und uns befreit und herausführt aus aller Knechtschaft.

Wenn nun im Petrusbrief speziell die Sklaven erwähnt und angesprochen werden, so hängt das damit zusammen, dass die gesellschaftlichen Strukturen vorgegeben waren. Die Botschaft Gottes dringt herein in eine gefallene Welt; eine Welt, in der bis auf den heutigen Tag Menschen ihre Mitmenschen versklaven und unterdrücken. Aber gerade geschlagene und misshandelte Sklaven hatten und haben ein feines Gehör für das Wort von der Befreiung und Erlösung.

Das Ungeheure in den ersten Christengemeinden war ja, dass da Herrinnen und Sklavinnen, Freie und Leibeigene miteinander am Tisch saßen und gemeinsam als Schwestern und Brüder das Mahl des Herrn feierten, dass Befreiung und Gerechtigkeit im Sinne der Gleichberechtigung aller Menschen in der christlichen Gemeinschaft erfahrbar war.

Die Sklaverei ist bis heute nicht überwunden, auch nicht in unseren modernen und zivilisierten Gesellschaften. Die Formen der Sklaverei sind vielfältig und oftmals schwer zu durchschauen, aber sie hängen alle mit dem Machtstreben des Menschen zusammen. Das reicht von sexueller Gewalt bis zu ökonomischer Ausbeutung. Und manchmal machen wir uns selbst zu Sklaven, weil wir uns dem beugen, was andere vorgeben, anstatt uns selbst die Freiheit des Denkens zu bewahren. Und: Wir werden Sklaven unserer selbst, oftmals unfähig, frei und uneigennützig zu handeln.

Politiker müssen in diesen Zeiten abwägen zwischen dem Schutz der Gesundheit und den Belangen der Wirtschaft. Die Entscheidungen, die stark in die Freiheitsrechte eingreifen, sind nicht leicht, weil alles mit allem zusammenhängt: So können wir nur mit Hilfe unserer Wirtschaft den Wohlstand schaffen, der es ermöglicht unser Gesundheitssystem auszubauen.

Und trotzdem müssen wir stets fragen: Gibt es ein Recht auf Profit, wo Menschenleben in Gefahr sind? Oder in der Frage des Datenschutzes: Was steht höher: das Recht auf den Schutz der Privatsphäre des Einzelnen oder der Gesundheitsschutz von Risikogruppen?

In der Diskussion melden sich Experten zu Wort, die aus ihrer jeweiligen Sicht ihre unterschiedlichen Empfehlungen abgeben. Wichtig ist es aber, über die fachliche Sicht hinaus die Wertegrundlage nicht aus dem Blick zu verlieren, auf der unsere Gesellschaft basiert. Wo die Würde des Menschen unantastbar ist, da sind alle anderen Belange und Interessen dem Gesundheitsschutz und der Bewahrung des Lebens nachgeordnet.

Allerdings: Wo Religion in Vergessenheit gerät, da hat es Werteorientierung schwer. Wo die Menschen nicht mehr dem Guten Hirten vertrauen, da gehen manche in die Irre.

Der Güte Gottes steht die Bosheit und der Eigennutz der Menschen gegenüber. Aber die Güte Gottes hört nicht auf. Sie mahnt zur Gerechtigkeit, sie tröstet, sie gibt Hoffnung und macht uns Mut angstfrei unseren Weg in die Zukunft zugehen.

… und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir …

Möge der Gute Hirte uns alle begleiten, im Leben und im Sterben, in Zeit und in Ewigkeit.

Ihr Pfr. Rainer Janus

 

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