Wort zum Sonntag – 25. April 2021

Die Apostelgeschichte des Lukas berichtet von dem Weg, den die Verkündigung des Evangeliums ausgehend von Jerusalem über Judäa und Samarien bis an die Enden der Erde nahm.

Man hat den Zionshügel zu Jerusalem, die Akropolis von Athen und den römischen Capitolshügel als jene drei Erhebungen bezeichnet, die die Ursprungsorte des abendländischen Bewusstseins symbolisieren. Der christliche Glaube musste gewissermaßen diese drei Hügel erobern, wenn er in den Herzen der Menschen einen Platz finden wollte.

Athen - mit der Akropolis und dem Areopag - stellte auf dem Weg der Ausbreitung des christlichen Glaubens eine ganz besondere Station dar. Das Evangelium und die griechische Philosophie begegnen sich. Wie wird diese Begegnung sich gestalten? Lukas berichtet:

Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. Denn ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt.

Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darinnen ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, dass sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts.

Da wir nun göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht. Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun. Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er richten will den Erdkreis mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.

Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören. So ging Paulus weg aus ihrer Mitte. Einige Männer aber schlossen sich ihm an und wurden gläubig; unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen. (Apostelgeschichte 17, 22-34)

Im Buch des Propheten Jeremia findet sich das Versprechen Gottes: Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR. (Jeremia 29, 13-14) Und vielleicht hatte der Apostel Paulus diese alten Worte des Propheten im Hinterkopf, als er versuchte, den Männern von Athen den christlichen Glauben nahe zu bringen.

„Ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι“, ihr Männer von Athen, das war die klassische Anrede in den öffentlichen Reden auf dem Areopag. Paulus hat mit seiner Verkündigung Aufsehen erregt in Athen. Auf dem Areopag, vor dem Rat der Stadt, erhält er, wie einst Sokrates, die Gelegenheit, sein Anliegen vorzutragen. Mit der Anrede, ihr Männer von Athen, hält der Apostel sich an die Gepflogenheiten. Schließlich ist die Stadt Athen das kulturelle Zentrum seiner Welt, die Stadt, in der die großen Ideen des Altertums ihren Ursprung haben, Ideen, die wie die Demokratie oder die olympischen Spiele unser Denken bis heute mit prägen.

Mit Stadtrat Dionysius und einer Frau mit Namen Damaris und einigen anderen war der Missionserfolg des Apostels aber sehr überschaubar geblieben. Und vielleicht lag das daran, dass die Männer von Athen nicht zu denen gehörten, die von ganzem Herzen nach Gott suchen. Wahrscheinlich hatten die Männer von Athen andere Interessen und Neigungen, Dinge, die ihnen wichtiger erschienen als die Suche nach Gott. Als der Apostel auf die Auferstehung und das ewige Leben zu sprechen kommt, winken die Zuschauer ab und wenden sich anderen Dinge zu: „Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören.

Paulus stellt den gebildeten und kulturbeflissenen Athenern den Gott vor Augen, der zugleich der letzte Grund alles Seienden ist, der Grund, den die Philosophie zu bestimmen sucht. Der Schöpfer aller Dinge ist zugleich das einzig Beständige im nur scheinbar unaufhörlichen Fließen der Zeiten. Während die Tempel des Zeus und der Pallas Athene vom Zahn der Zeit zerfressen werden, ist er der Gott des Lebens von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Vielleicht sollten wir diesen Gedanken des Paulus weiterdenken und in unseren Mitmenschen Menschen auf der Suche zu sehen, und nicht nur Menschen, der von Gott nichts wissen wollen. Das könnte unser Verhältnis diesen Mitmenschen kolossal verändern. Auch die Kirchenfernen, die Abergläubigen und die Sektierer wären dann nicht einfach abzuschreiben. Auch sie haben eine Zukunft bei Gott. Auf dem Weg zu ihm sind sie alle unsere Schwestern und Brüder. Wenn Paulus betont, dass Gott keinem von uns fern ist, so meint er ja gerade, dass Gott die nicht abgeschrieben hat, die ihn noch nicht gefunden haben.

Paulus rechnet damit, dass es eine Urerfahrung mit Gott gibt - bei jedem Menschen. Bevor ihm irgendjemand, ein Missionar, ein theologischer Lehrer, ein Pfarrer oder sonst jemand etwas von Gott gesagt hat, hat der Mensch eine Erfahrung mit Gott gemacht. Nicht etwa, weil es in uns etwas Geistiges gäbe, das im Sinne des Göttlichen ist - so haben verschiedene Philosophen gedacht - sondern weil Gott uns geschaffen hat als Geschöpfe, als Teil seiner Schöpfung - und nicht zu vergessen - zu seinem Bilde.

Deshalb kann Paulus sagen: „In ihm leben, weben und sind wir.“ Deshalb kann er auch den heidnischen Schriftsteller Aratus zitieren, mit den Worten: „Wir sind seines Geschlechts.“ Und mit diesem „wir“ schließt er alle mit ein. Auch den Esoteriker, der am Rande des Christentums nach Gott sucht, den Atheisten, der meint, es sei nichts zu finden und auch den frommen Christen, der meint, er sei nicht mehr auf der Suche, sondern habe Gott schon gefunden.

Jedem ist dieser Gott nahegekommen in Jesus Christus, und für jeden hält er eine Zukunft bereit. Er ist nicht ein Gott, der von fernen Sternen unberührt zuschaut und die Welt in ihrer Gottesferne allein lässt.

Für uns ist die Rede des Apostels eine Einladung, die Menschen um uns herum mit seinen Augen zu sehen. Der Wandel unserer Gesellschaft schreitet voran. Längst ist der christliche Glaube nicht mehr selbstverständlich. Im Gegenteil: Neben den fremden Religionen macht sich auch ein Abkehr von Religion und Kirche breit. Manchmal hat man den Eindruck, es gehöre zum guten Ton, nicht mehr in der Kirche zu sein.

Insbesondere junge Menschen wenden sich von der Kirche ab, kein Wunder, wo doch schon ihre Eltern und Großeltern keine Antworten auf ihre Lebensfragen mehr geben konnten. Mitten in einer bunten, pluralen Welt mit allen nur denkbaren Angeboten bleiben diese jungen Menschen auf sich selbst gestellt. Sie bleiben allein mit ihren Fragen. Aber vielleicht machen sich diese heute jungen Menschen eines Tages selbst auf den Weg, Antworten zu suchen und Gott wiederzufinden. Ganz oft geschieht das, wenn existentielle Erfahrungen über uns hereinbrechen wie Trennung und Abschied. Auch die Corona Pandemie wirft Lebensfragen auf – und führt immer wieder dazu, dass ein neues Nachdenken einsetzt und eine Suche nach dem, was diesem Leben Sinn geben kann. Viele Menschen unserer Tage haben Sehnsucht nach etwas Beständigem, etwas, das Halt gibt im Leben und die sinnlose Vergänglichkeit überdauert. Und letztendlich geht es ja um die Frage, die uns irgendwann alle bewegt: Was hat Bestand? Was bleibt? Ist mein Leben mehr als ein Weg zum Grab?

Aber Paulus erntet Spott und Gelächter, als er auf das Zentrum des christlichen Glaubens zu sprechen kommt: Die Auferstehung von den Toten. Die Antwort des Leben schaffenden Gottes auf die immerwährende Sinnlosigkeit des Todes.

Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören.“ Der Spott der Männer von Athen war auch eine Reaktion der Verlegenheit. Es ist eine allzu menschliche Verhaltensweise, Themen, die einem zu nahe gehen, durch Spott ins Lächerliche zu ziehen.

Mit der Auferstehung gerät die Endlichkeit unseres Lebens, die Vergänglichkeit allen Seins in den Blick. Noch so glänzende Gedanken bewahren nicht vor dem ewigen Tod; das ist der wunde Punkt jeder denkenden menschlichen Existenz. Über Gott als einen Gegenstand geistiger Spekulation zu sprechen, das ist einfach. Das schafft Distanz. Aber das ist ja gerade der große Unterschied zu den griechischen Göttern. Der lebendige Gott lässt sich weder durch menschlichen Geist und Phantasie begrenzen noch in einen steinernen Tempel sperren und bedienen. Er will, dass wir ihm unsere Herzen öffnen und ihn hineinlassen in unser Leben. Er will ja gerade nicht, dass wir eine Distanz aufbauen. Er will uns nahe sein.

Nicht alle Zuhörer lachen und spotten. Einige werden nachdenklich, darunter der Stadtrat Dyonysius und eine Frau mit Namen Damaris. Diese beiden und noch einige andere, deren Namen uns nicht überliefert sind, haben ihr Herz geöffnet und sind den Weg des Glaubens gegangen.

Wer Gott in Jesus Christus erkennen will, muss abrücken von der Meinung, alles richte sich auf dieser Welt nach seinem menschlichen Verstand. Wer glauben will, dem bleibt nichts anderes übrig, als sich auf die höhere Vernunft Gottes einzulassen, der den Weg zum Kreuz zum Weg unserer Erlösung gemacht hat. Das war die Antwort, die Paulus den philosophierenden Griechen geben konnte.

Dyonysios und Damaris und viele andere haben inmitten der Vergänglichkeit athenischer Tempelruinen und geistiger Größe den ewigen Gott gefunden. Einem jedem Menschen steht dieser Weg zu Gott offen. Wir brauchen ihm nur unser Herz zu öffnen und zu sagen: Erfülle mich mit deiner Liebe und begleite mich mit deinem Segen. Denn wir haben sein Versprechen: Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR. Amen.

Ihr Pfarrer Rainer Janus