Wort zum Sonntag – 21.06.2020
Liebe Leserinnen und Leser,
das Bibelwort für diesen Sonntag steht im Evangelium nach Matthäus:
Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart. Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen.
Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will. Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. (Mt 11,25–30)
Sie kennen die Geschichte von den drei Steinmetzen, die beim Bau des Freiburger Münsters gefragt werden, was sie da tun. Der erste antwortet: „Siehst du nicht? Ich schufte mich zu Tode.“ Der zweite antwortet: „Ich verdiene Geld, um meine Familie zu ernähren.“ Und als der dritte gefragt wird, antwortet er mit schweißüberströmten Gesicht, aber mit leuchtenden Augen: „Ich baue eine Kathedrale.“
Lasten, haben sie alle zu tragen. Keiner von den dreien hat einen lockeren Job, aber ein jeder hat seine eigene Lebenseinstellung und Lebensphilosophie. Der eine empfindet seinen Beruf als Qual. Der zweite konzentriert sich ganz und gar auf den Nutzen. Der Dritte hat ein Ziel und alles, was er tut hat den Sinn, dieses Ziel zu verwirklichen.
Ich denke, jedes Leben hat seine Lasten und Mühen und ein jeder von uns hat seinen Teil zu tragen. Kummer und Sorgen sind uns nicht unbekannt, Krankheit und Leid bleiben uns nicht erspart. Und dennoch stellen wir fest, dass Menschen sehr, sehr unterschiedlich umgehen mit dem, was ihnen auf ihrem Lebensweg begegnet.
„Siehst du nicht? Ich schufte mich zu Tode.“ Wer das Gefühl kennt, dass einem die Arbeit zu viel wird und über den Kopf wächst, der kann diese Antwort gut verstehen. Ich schufte mich zu Tode. Ich opfere mich auf. Das Leben ist für mich nicht mehr als ein Weg zum Grab und dieser Weg ist mit Arbeit gepflastert. Wir spüren, wie diesem Leben die Freude fehlt, die es eigentlich haben sollte.
In unserem Bibelwort ist von einem Joch die Rede. Und vielleicht denkt manch einer mit nostalgischen Gefühlen an die Zeit, als es in der Landwirtschaft noch keine Maschinen gab. Aber die Wirklichkeit war hart. Ein Joch ist schwer und wer als Arbeitstier ein Joch zu tragen hat, der muss sich ins Zeug legen, seine Arbeit zu verrichten und kann nicht einfach ausbrechen oder sich ausruhen. Nicht umsonst spricht man davon, dass Völker unterjocht wurden: Die Menschen wurden als Arbeitstiere missbraucht. Aus solchen unterjochten Völkern hat man herausgepresst, was herauszupressen war.
Das Volk Israel hat das erlebt in seiner Geschichte: Der ägyptische Pharao hat die fremden Nomaden versklavt. Er hat sie zu Arbeitstieren gemacht, die Frondienste leisten mussten. Aber der Gott Israels hat das Joch auf den Schultern seines Volkes gesehen und hat es herausgeführt aus der Knechtschaft ins verheißene Land. An diese wichtige Erfahrung des Volkes Israel werden wir erinnert, wenn Jesus sagt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Jesus will uns frei machen von den Jochen, die uns einschränken. Was unser Leben belastet, dürfen wir bei ihm ablegen.
Der zweite Steinmetz antwortet: „Ich verdiene Geld, um meine Familie zu ernähren.“ Diese Antwort klingt hoffnungsvoller und motivierter. Dieser Steinmetz weiß, warum er schuftet. Er opfert sich für die Menschen, die ihm nahe stehen: für seine Familie. Wir empfinden ein Stück heile Welt, aber auch über dieser scheinbar so heilen Welt liegt ein dunkler Schatten.
Ich habe den Eindruck, dass der Grundsatz, alles aus eigener Kraft, durch eigene Leistung und Einsatz erreichen zu können und erreichen zu müssen, den erfolgreichen Menschen in unserer Gesellschaft sehr prägt. Es gilt das Gesetz des Erfolges und des Durchsetzungsvermögens und damit bestimmt der Glaube an die eigene Leistungsfähigkeit unser Lebensgefühl. Scheitern und Zurückbleiben sind in der Welt der Erfolgreichen nicht vorgesehen. Aber es gibt dieses Scheitern. Es gibt das Zurückbleiben hinter den Zielen, die man sich gesetzt hat. Es gibt Situationen, die wir nicht beherrschen. Es gibt Ereignisse, denen wir nicht entgegenzusetzen haben. Es gibt Augenblicke, da erfahren wir: Unser Leben steht nicht in unserer eigenen Hand. In solchen Situationen ist ein Mensch ohne den Glauben und ohne das Vertrauen auf Gott sehr allein.
Als Gott sein Volk aus der Knechtschaft aus Ägypten befreit hat, führt er es in die Wüste. Wüste bedeutet Entbehrung. In der Wüste wird der Mensch auf die elementaren Dinge des Lebens zurückgeworfen. Aber Gott geht diesen Weg mit. Er ist Begleitet und Helfer auch in Not und Gefahr. Und mit den 10 Geboten schließt er einen Bund mit Israel, der ewig bestehen bleibt: Ich bin dein Gott und ihr sollt mein Volk sein.
Es gibt dieses Joch des Gesetzes. Aber die zehn Gebote sind Angebote zum Leben. Das ist kein Joch, das belastet und knechtet, sondern ein Joch, das trägt und verbindet, ein Joch, das konkrete Lebenshilfe bietet und den Weg zu einem gelingenden Leben weist. Dieses Gesetz, von den Juden Thora genannt, wurde immer als Geschenk Gottes empfunden: Ein Geschenk für das Leben und Zusammenleben der Menschen. Das ist gemeint, wenn Jesus sagt: „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“
Der dritte antwortet mit schweißüberströmtem Gesicht, aber mit leuchtenden Augen: „Ich baue eine Kathedrale.“ Vielleicht wird jetzt jemand einwenden und sagen: Das ist Selbstüberheblichkeit. Er baut keine Kathedrale, er trägt lediglich seinen Teil an Arbeit bei. Das ist richtig. Aber er hat das Ziel vor Augen. Und weil er das Ziel vor Augen hat, geht er anders um mit den Lasten, die seine Arbeit und sein Leben mit sich bringen. Auch er spürt die Schmerzen der Hände, aber er weiß, wofür er lebt und arbeitet.
Gott hat seinem Volk ein Ziel gesetzt, das den Vätern verheißene Land, in dem nicht nur Milch und Honig fließen, sondern in dem die Menschen erfahren, dass Gottes guter Geist unter ihnen lebendig ist. Der Weg durch die Wüste wird sich nicht verändern. Er wird nicht leichter – und dennoch werden wir ihn anders gehen – mit schweißüberströmtem Gesicht vielleicht, aber mit leuchtenden Augen.
Ein Leben im Einklang mit Gott, Frieden und Gerechtigkeit unter den Menschen – das ist Gottes Wille – und das ist auch das, was wir wollen und was unser Herz bewegt auf dem Weg durch die Wüste unseres Lebens. Jesus weiß um dieses Ziel. Er weiß um den Weg durch den Tod hindurch zum ewigen Leben. Er weiß, wie schwer dieser Weg sein wird. Und er weiß, dass er all unsere Last mit an sein Kreuz nehmen wird. Mit ihm können wir Gott preisen, der allem Leben Sinn und Ziel gegeben hat in Geiste seiner Liebe. Amen
Pfarrer Rainer Janus
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