Wort zum Sonntag – 20. September 2020

Liebe Leserinnen und Leser,

in der Bergpredigt spricht Jesus auch über die Sorgen, die uns bedrücken:

Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet.

Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?

Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?

Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?

Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

Es ist wohl so, dass ein jeder seine eigenen Sorgen hat. Aber eine Sorge beschäftigt uns alle. Es ist die Sorge, wie es weitergeht mit der weltweiten Krankheitswelle durch Corona. Die Zahlen steigen wieder, und die kalten Tage im Herbst und Winter rücken näher. Wer sollte sich da keine Sorgen machen?

Wir haben die Worte gehört, die Jesus in seiner Bergpredigt gesagt hat. Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, sagt Jesus. Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?

Ich könnte mir vorstellen, dass einer von den Zuhörern Jesus bei seiner Bergpredigt unterbrochen hätte mit den Worten: Moment mal, Jesus. Es gibt ja nicht nur die Vögel unter dem Himmel. Es gibt ja auch noch andere Tiere, die unser Vater im Himmel erschaffen hat. Es gibt das Eichhörnchen und den Hamster, die sich Vorräte anlegen. Es gibt die Honigbiene, die den Honig sammelt. Und diese Tiere sind Beispiele dafür, wie gut und wichtig es ist, sich Vorräte zu schaffen.

Ich weiß natürlich nicht, wie Jesus auf diesen Einwand geantwortet hätte. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Jesus sich gegen vernünftige Vorsorge im Blick auf die Zukunft geäußert hätte. Das wäre ja Hohn für die Armen unter den Zuhörern, die morgen verhungern müssten, wenn sie heute nicht Vorsorge treffen würden, so gut das eben geht.

Und ich denke in diesem Zusammenhang an das Gespräch mit einer jungen Mutter, die ihr Kind einige Wochen zu früh durch einen Kaiserschnitt entbunden hatte. Bei der Vorsorgeuntersuchung hatte sich herausgestellt, dass etwas mit der Nabelschur nicht in Ordnung war. Es war höchste Zeit und die junge Frau sagte: Wie gut, dass es diese Vorsorgeuntersuchungen gibt, sonst hätten wir dieses Kind nicht bekommen. Gott sei Dank ist alles gut gegangen.

Die Sorge, die in der Vorsorge steckt, hat also durchaus ihre positiven Seiten und kann sehr segensreich sein. Auch unser Sprachgebrauch ist ja dementsprechend: Sorgfalt ist eine gute und wichtige Eigenschaft für einen Menschen. Ein fürsorgliches Wesen und eine sorgsame Art ist im zwischenmenschlichen Bereich von hohem Wert.

Auch im Blick auf die Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen ist Sorgfalt sehr wichtig. Viele von diesen Menschen wurden durch Krieg und Gewalt aus ihrer Heimat vertrieben. Sie sind auf unsere Fürsorge angewiesen und selbstverständlich ist es wichtig, dass unsere Politiker Vorsorge treffen, was die Unterbringung und Betreuung der Menschen betrifft.

Wenn Jesus nun sagt: Sorget euch nicht!, dann hat er die andere Seite der Sorge im Blick. Er spricht die Sorgen an, die wir uns selbst machen und für uns zu einer Last werden und uns quälen.

Es ist bekannt, dass Jesus gerne Wein getrunken hat. Aber es hilft nichts, seine Sorgen in einem Glas Wein zu ertränken. Am Grunde des Bechers werden sie wieder sichtbar. Sie lassen sich nicht abschütteln und machen uns am Ende krank.

Und Jesus bringt diese Sorgen in den Zusammenhang mit einer Eigenschaft des Menschen, die ihn von allen anderen Lebewesen unterscheidet. Mit dem habgierigen Streben nach Besitz und Reichtum und Macht und Einfluss und Geld.

Ich darf noch einmal auf meine beiden kleinen Nagetiere zurückkommen, das Eichhörnchen und den Hamster. Sie legen Vorräte an, damit sie Reserven haben für schlechte Zeiten. Aber sie häufen keine Reichtümer an, sie sammeln keine Schätze.

Das Geld und damit die Möglichkeit, immer mehr und mehr zu besitzen, das ist eine Erfindung des Menschen. Und ich möchte hier einmal den bekannte Pfarrer und Theologen Dietrich Bonhoeffer zu Wort kommen lassen, der über die Güter und Schätze dieser Welt einmal gesagt hat:

Die Güter spiegeln dem menschlichen Herzen vor, ihm Sicherheit und Sorglosigkeit zu geben; aber in Wahrheit verursachen sie gerade erst die Sorge. Das Herz, das sich an die Güter hängt, empfängt mit ihnen die erstickende Last der Sorge. Die Sorge schafft sich Schätze, und die Schätze schaffen wieder die Sorge. Wir wollen unser Leben durch die Güter sichern, wir wollen durch Sorge sorglos werden; aber in Wahrheit erweist sich das Gegenteil. Die Fesseln, die uns an die Güter binden, die die Güter festhalten, sind selbst Sorgen.

Ich muss da an diese Geschichte denken vom reichen Kornbauern, der sich immer größere Scheunen bauen lässt für seine Vorräte, um dann endlich zur lang ersehnten Ruhe und Muße zu kommen. Mit dem vorzeitigen Ende seines Lebens rechnet er nicht.

Schade für ihn; er hat sein Leben versäumt, weil er nur an die Zukunft dachte, für die er sich allein verantwortlich sah. Anstatt sie aus Gottes Hand zu nehmen, hat er sein Leben in der Gegenwart versäumt. Er hat das Geschenk jedes einzelnen Tages mit all dem, was er an Gabe und Aufgabe bietet, nicht wahrgenommen und nicht angenommen. So geht es allen, die von der Maximierung der Gewinne besessen sind und ihr ganzes Selbstwertgefühl durch ihren Besitz definieren.

Jesus eröffnet eine andere Lebensperspektive. Er öffnet uns die Augen für ein Leben, in dem die Sorgen um Geld und Gut und die Annehmlichkeiten dieser Welt keine Bedeutung mehr erlangen kann. Statt nach immer mehr materieller Sicherheit, nach Macht und Einfluss oder Bequemlichkeit zu trachten, sollen wir nach dem Friedensreich Gottes und nach der Gerechtigkeit in dieser Welt streben.

In der Apostelgeschichte des Lukas ist davon die Rede, dass unter Christen alle alles gemeinsam haben. Das ist zum einen sicherlich ein Gegenbild zum Streben nach immer mehr Reichtum und Macht. Und es ist zum anderen eine Idealvorstellung, die nie vollständig umgesetzt werden kann. Und trotzdem werden wir im Geiste der christlichen Nächstenliebe lernen müssen, zu teilen, was wir haben, damit alle Menschen die Chance haben, ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Es ist klar: Das Ziel, das ein Leben hat, das erfüllt die Gegenwart eines Menschen. Einem erfüllten Leben aber soll alles andere zufallen – so die Verheißung Jesu.

Sorget nicht ist also keineswegs eine Aufforderung, die Hände in den Schoß zu legen und nichts zu tun. Engagement ist gefragt. Aber es geht nicht um ein Engagement, das die eigenen wirtschaftlichen Vorteile im Auge hat, sondern um ein Engagement, das das Wohl des Mitmenschen zum Ziel hat. Das ist gemeint, wenn Jesus sagt: Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.

Statt unsere Sorgen zu pflegen, sind wir aufgerufen zur Nachfolge Jesu. Das bedeutet nichts anderes als ein Engagement für die Sache der Liebe, eine aktive Unterstützung und Mitarbeit überall da, wo Nächstenliebe praktiziert wird, wo Gemeinschaft gepflegt wird, wo Menschen geholfen wird und Versöhnung geschieht. Jesus ruft uns zum Glauben, der stärker ist als alle ängstliche Sorge um unser Wohlergehen. Er ruft uns zur Liebe, die sich dem Nächsten aus freien Stücken zuwendet. Er ruft uns zur Hoffnung, die die persönliche Zukunft in Gottes Hand geborgen weiß.

Ich möchte schließen mit einer Redensart, die sicherlich alle kennen. Manchmal sagen oder denken wir: Deine Sorgen möchte ich haben. Aber das stimmt natürlich nicht. Wir meinen gar nicht, was wir sagen. Wir wollen die Sorgen des anderen nicht noch dazu haben. Wir wollen nur zum Ausdruck bringen, dass unsere eigenen Sorgen um vieles größer und erdrückender sind.

Gott aber sagt zu uns tatsächlich: Deine Sorgen möchte ich haben. Und Gott meint, was er sagt. Gott sagt: Deine Sorgen möchte ich haben. Ich möchte sie dir abnehmen und sie für dich tragen. Und möchte dir dafür einen Sinn für dein Dasein und die Gewissheit des ewigen Lebens geben. Amen.

Pfarrer Rainer Janus

Wort zum Sonntag 15 Sonntag nach Trinitatis