Wort zum Sonntag – 02. August 2020
Liebe Leserinnen und Leser,
der Evangelist Johannes erzählt uns folgende Begebenheit: Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?
Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.
Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden. Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah - das heißt übersetzt: gesandt - und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder. Johannes 9, 1-7
„Die einen sind im Dunkeln, und die andern sind im Licht, und man siehet die im Lichte, die im Dunkel sieht man nicht.“ Sie kennen diesen Satz aus der Dreigroschenoper von Bertold Brecht. Er war wohl derjenige deutsche Schriftsteller, der die sozialen Gegebenheiten unserer Gesellschaft am schärfsten beleuchtet hat - Wo viel Licht ist, ist viel Schatten; und Brecht hat nicht gezögert, auch die Schattenseiten unserer Gesellschaft sichtbar zu machen und anzuprangern.
Die Jünger Jesu widmen ihre Aufmerksamkeit einem, den man gewöhnlich nicht sieht. Sie sehen den Bettler, der seit seiner Geburt blind ist, am Wegesrand sitzen.
Es gibt ihrer viele, auch wenn sie bei uns heute an den Wegrändern selten geworden sind. Wo die sozialen Verhältnisse schlechter sind als hierzulande, müssen Blinde nach wie vor ihr Leber häufig als Bettler fristen. Ihr Los ist es, dass sie übersehen werden von denen, die vorübergehen und ihnen Hilfe schuldig bleiben.
Die Jünger fragen Jesus: „Wer hat gesündigt? Er selbst oder seine Eltern?“ Sie haben ein Gespür für das traurige Schicksal und wollen wissen, wodurch es verursacht worden ist: Ist er selbst daran schuld, hat Gott ihn bestraft und mit Blindheit geschlagen, nach bevor er das Licht der Welt kennenlernte. Oder tragen seine Eltern die Schuld an seinem Leiden. Wenn aber die Eltern schuldig geworden sind, weshalb muss er dann büßen? Sie merken, der Fall eines Blindgeborenen gibt Stoff genug für eine gelehrte Unterhaltung. Für die Jünger Jesu, genauso wie für ihre Zeitgenossen, war es dabei selbstverständlich, dass Krankheit eine Folge der Sünde ist. Dass also der, der da am Straßenrand saß, völlig zurecht blind war und seine ihm auferlegte Strafe verbüßte. Genauso war es selbstverständlich, dass Kinder für die Sünden der Eltern geradezustehen hatten.
Aber Jesus erteilt solchen allzu menschlichen Erklärungsversuchen eine Abfuhr und antwortet: „Weder er noch seine Eltern haben gesündigt. Sondern es sollen Gottes Werke an ihm offenbar werden.“ Es besteht also kein Zusammenhang zwischen der Schuld des Mannes und seiner Blindheit. Krankheit ist keine Folge von Sünde - und wenn es doch so wäre, wie viele unter uns würden wohl an Krankheit leiden? Nein, Gottes Werke sollen offenbar werden an diesem Blinden.
So wie alle Armen, ist er auf unsere finanzielle Zuwendung angewiesen. So wie alle Kranken braucht er medizinische Pflege. Und so wie alle Traurigen braucht er unser Verständnis und unseren Trost.
Gottes Werke sind Werke der tätigen Liebe. Und wenn es überhaupt eine Antwort gibt für die Frage, warum so viel Elend in unserer Welt ist, so ist es die Antwort, die Jesus uns gegeben hat, wenn er sagt: Ihr seid das Licht - der Welt! Diese Dunkelheiten sind dazu da, dass ihr sie hell macht, durch Werke der Liebe. Es geht Jesus beileibe nicht um einen gelehrten Gedankenaustausch über die Wurzeln allen Übels. Ihm geht es einzig und allein darum, Heil erfahrbar zu machen. Jesus Christus ist das Licht der Welt. In dem, was er tut, wird das Handeln des Gottes sichtbar, der Himmel und Erde geschaffen hat.
Gottes allererstes Schöpfungswerk war das Licht. Und so wie Gott –Vater Licht schuf in der Finsternis, so gibt Jesus dem, der in der Finsternis lebt, sein Augenlicht. Einer, der von Geburt an blind war, erlebt zum ersten Mal einen Abend und einen Morgen, einen ersten Tag. Es ist die Absicht Jesu zu zeigen, dass er von niemanden anderen als von diesem Gott gesandt ist. Und nur der, der die Schönheit der Natur geschaffen hat, kann sie auch erlösen. Nur er allein kann der Welt Heil bringen. Nur er allein kann auf wunderbare Weise heilen.
An dem Blindgeborenen hat Jesus ein Wunder getan, damit Gottes Werke an ihm offenbar würden. An diesem Wunder erkennen die Menschen, dass Jesus die Werke dessen tut, der ihn gesandt hat.
Aber Jesus hat angekündigt: Es kommt die Nacht, in der niemand wirken kann. Er kündigt damit die Zeit an, in der er nicht mehr als Mensch unter seinen Jüngern sein wird. Was er nicht ankündigt, ist, dass seine Jünger in dieser Zeit an seiner Statt, die Naturgesetze nach Belieben aus den Angeln heben werden. Im Gegenteil, wir leben in einer Zeit, in der niemand Wunder wirken kann und warten auf den Tag, an dem Jesus wiederkommt.
Warten heißt aber keineswegs die Hände in den Schoß legen und Däumchen drehen: Auch der Blindgeborene wäre ohne Augenlicht geblieben, wenn er dem Wort Jesu nicht gefolgt wäre. Geh und wasche dich im Teich Siloah.
Im ganzen Johannesevangelium werden insgesamt nur drei Heilungsgeschichten erzählt. Für alle drei ist kennzeichnend, dass sie mit einem Befehl an den Hilfsbedürftigen verbunden sind. Erst mit der Ausführung des Befehls ist das Wunder vollendet. So muss der königliche Beamte nach Hause gehen, um seinen Sohn lebendig zu finden. Der Gelähmte muss am Sabbat sein Bett wegtragen, um die neue Kraft in sich zu spüren. Und der Blindgeborene muss sich am Teich Siloah den Dreck von den Augen waschen, um das Licht zu sehen. Inaktivität ist nicht gefragt. Der Name das Teiches ist insofern aufschlussreich, als Siloah auf deutsch „gesandt“ heißt. Der Gesandte Gottes sendet Menschen, auf dass sie sehend werden und das Heil erlangen.
Solange Jesus auf Erden weilte, hat er sich als Licht der Welt erwiesen. Heute ist es unsere Aufgabe, Licht in das Dunkel der Welt zu bringen.
Manchmal sehen wir den Wald vor Bäumen nicht. Möge Gott uns die Augen öffnen, dass wir lernen, die Not und die Sorgen unserer Mitmenschen zu sehen und er möge uns Kraft schenken und Zuversicht, die Not der Welt, wo möglich, zu lindern. Amen.
Pfarrer Rainer Janus
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