Wort zum Sonntag – 14. März 2021
Der Evangelist Johannes berichtet:
Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus sehen.
Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen's Jesus.
Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. (Johannes 12, 20-24)
Das Weizenkorn wird als Saatgut in den Boden eingebracht. In und unter der Erde erstirbt das Korn, um als grüner Halm neue Frucht zu bringen. Und nur, wenn das Alte erstirbt, kann Neues wachsen, neues Leben aufkeimen aus dem, was im Tod vergangen ist. Der neue grüne Halm ist ein Bild für die Auferstehung und das ewige Leben. Der Apostel Paulus greift dieses Bild auf, wenn er schreibt: Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich.
Die Auferstehung von den Toten und ein Leben über das irdische Dasein hinaus, das ist die entscheidende Botschaft des christlichen Glaubens. Und das allein erklärt die seltsame Wortwahl des Evangelisten Johannes: Wenn nämlich bei Johannes von der Stunde die Rede ist, in der der Menschensohn verherrlicht werde, dann ist damit die Todesstunde Jesu gemeint, in der er spricht: „Es ist vollbracht.“ Im Kreuzestod ist das Ziel seines Lebens erreicht, weil damit Gott dem letzten Feind des Lebens die Endgültigkeit genommen hat. Was Gott geschaffen hat endet nicht mehr in der immerwährenden Sinnlosigkeit des Todes, sondern bleibt in seiner Hand für immer und für alle Zeit bewahrt.
Aber: Ist das die Antwort, die sich Philippus und Andreas erhofft haben? Ist das eine Antwort, mit der die griechischen Festpilger zufrieden sein konnten? Ihr erklärter Wunsch war es, Jesus zu sehen, ihn zu Gesicht zu bekommen. Sie kannten seinen Namen. Sie werden wohl so manches über ihn gehört haben. Vielleicht wollten sie sich ihm anschließen, von ihm mehr über die Liebe Gottes erfahren. Auf jeden Fall wollten sie sich mit eigenen Augen ein Bild von ihm machen.
Vielleicht ist das ein wichtiges Kennzeichen unseres menschlichen Daseins, an dem sich in vielen Jahrtausenden nichts geändert hat: die Neugierde. Oder wie es auf gut alemannisch heißt: D’Liet sin wunderfitzig. Waren die griechischen Festpilger wunderfitzig und was steckt hinter der Neugierde? Ist es nicht gerade der Wunsch, den Dingen auf den Grund zu gehen, der menschliche Wissenschaft und Technik voranbringt. Wo kämen wir hin, wenn unsere Kinder und Jugendlichen nicht mehr neugierig und wissbegierig wären, unsere Lehrer und Professoren nichts mehr zu erforschen hätten? Unser deutsches Wort „wissen“ kommt ja vom lateinischen „videre“ und das bedeutet „sehen“. Wir Menschen wissen, was wir gesehen und erkannt haben.
Erst in unserem heutigen, digitalen Zeitalter ist der Zusammenhang von "sehen" und "wissen" nachhaltig in eine Krise gekommen. Heute ist uns bewusst: Bilder sind manipulierbar. Sie können täuschen. Ähnlich wie bei Worten, die wir mit unseren Ohren hören, sind wir bei dem, was unsere Augen sehen, auf Glauben und Vertrauen angewiesen.
Was hätten denn die griechischen Pilger gesehen, wenn ihr Wunsch erfüllt worden wäre? Einen Menschen mittleren Alters, gekleidet im Stil der Zeit mit Schwielen an den Händen von seiner harten Arbeit als Zimmermann? Hätten sie im Angesicht des Menschensohns den Gottessohn erkennen können?
Die Antwort Jesu stellt klar: Erkennbar wird der Gottessohn im Menschensohn nur, indem er die Mission Gottes erfüllt in Kreuzestod und Auferstehung. Auf Golgatha verdichtet sich die Liebe Gottes zum Leben. Und an den Glaubensfrüchten seines Leidens und Sterbens erweist sich Gott lebendig.
An anderer Stelle berichtet der Evangelist Johannes von Thomas, einem der zwölf Jünger, der nicht nur ein Zwilling, sondern auch ein Zweifler war. Diesem Thomas genügt es nicht, den Auferstandenen vor sich zu sehen. Er will den Finger in die Wunde legen, weil er nicht glauben kann, dass der Tod überwunden ist.
Und gegenüber Thomas wird Jesus noch einmal deutlicher, wenn er sagt: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Einen Gottesbeweis kann und wird der menschliche Verstand nicht finden. Und es wäre töricht, zu meinen, dass sich die ganze Wirklichkeit mit dem erfassen lässt, was wir Menschen mit unseren menschlichen Möglichkeiten begreifen können.
Der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry geht noch einen Schritt weiter. Im seiner märchenhaften Erzählung vom kleinen Prinzen spricht der Fuchs: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
Wir Menschen sind Augenmenschen und wir bleiben Augenmenschen. Aber wir tun gut daran, wenn wir unsere menschliche Erkenntnis und Wissenschaft nicht für das Ganze halten und die „Dimension des Herzens“ darüber vergessen. Schon im Alten Testament steht die Mahnung: Verlass dich auf den HERRN von ganzem Herzen, und verlass dich nicht auf deinen Verstand.
Wir erleben im Zusammenhang mit der Corona Pandemie wie Tag für Tag neue, erschreckende Todeszahlen gemeldet werden. Hinter jedem Sterben steht unsagbares Leid, unsagbare Trauer. Und es gibt kein Medikament, keine Test- oder Impfstrategie, die dann noch zu trösten vermögen.
Trost und Hoffnung schenkt allein der Glaube, dass wir nicht allein sind in der Weite des Raumes und der Zeiten, sondern einen Vater im Himmel haben, der uns zum Leben geschaffen hat und unser Leben bewahren will in seiner grenzenlosen und ewigen Liebe.
Im Katechismus, den die Älteren unter uns noch auswendig gelernt haben, lesen wir die Frage: Was ist dein einiger Trost im Leben und im Sterben? Und die Antwort, die wir nicht nur auswendig, sondern fürs Leben lernen sollten, lautet: Dass ich mit Leib und Seele, beides, im Leben und im Sterben, nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin, der mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkömmlich bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst hat und also bewahrt, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt kann fallen, ja auch mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss. Darum er mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens versichert und ihm forthin zu leben von Herzen willig und bereit macht. So ist es. Amen