Wort zum Sonntag – 14. Februar 2021
Gott spricht zum Propheten Jesaja: „Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden!
Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte.
Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei.
»Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst's nicht wissen?«
Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter.
Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll.
Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?
Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten.“ (Jesaja 58, 1-9a)
Auf die Fastnacht folgt die Fastenzeit. Die Fastnacht ist überhaupt erst als Reaktion auf die Fastenzeit entstanden. Vor der Entbehrung sollte noch einmal gefeiert werden. Die Menschen wollten noch einmal ausgelassen und fröhlich sein, bevor die 40 Tage der vorösterlichen Fastenzeit anbrachen. In alter Zeit wurde noch einmal geschlachtet. Die Vorräte im Haus und das Fass im Keller sollten leer werden.
Heutzutage hat sich die Idee des Fastens verlagert auf den Bereich der Gewichtsreduktion und der Wellness. Viele Menschen haben das Heilfasten für sich entdeckt und machen gute Erfahrungen damit. Und vielleicht ist das für Leib und Seele gleichermaßen wichtig, dass wir durch Verzicht aus der Dauerbelastung der Übersättigung wenigstens zeitweise herausfinden.
Natürlich gibt es auch heutzutage noch das religiöse Fasten. Es gibt im Islam eine Bewegung, die sich streng an die Regeln des Ramadan hält. Ganz egal, in welche Jahreszeit der Fastenmonat fällt, verzichten die gläubigen Muslime von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang auf jegliche Nahrungsaufnahme. Erst in der Nacht darf wieder gegessen und getrunken werden. Und auch andere Religionen kennen Zeiten des Verzichts und der Entbehrung im Sinne einer Bußübung.
Im frühen Christentum gab es den Brauch, an zwei Tagen zu fasten: am Karfreitag und Karsamstag als Zeichen der Trauer um den Tod Jesu am Kreuz. Diese Zeit wurde dann ausgedehnt zunächst auf die ganze Karwoche und dann im Mittelalter auf 40 Tage vor Ostern und zusätzlich auch vor Weihnachten.
In der Reformation regt sich Kritik an der religiösen Bußübung. Luther ist überzeugt, dass wir uns nicht durch fromme Werke das Himmelreich verdienen können oder müssen. Und Luther formulierte: „Kein Christ ist zu den Werken, die Gott nicht geboten hat, verpflichtet. Er darf also zu jeder Zeit jegliche Speise essen.“ Luther wendet sich damit nicht grundsätzlich gegen das Fasten, wohl aber gegen eine verordnete Bußübung im Sinne der Werkgerechtigkeit, die oft nur sinnentleert und zum Schein umgesetzt und praktiziert wurde.
Die Zürcher Reformation ging noch einen Schritt weiter. Als Provokation veranstalteten prominente Geistliche am ersten Fastensonntag des Jahres 1522 ein vergnügliches Wurstessen im Hause des Druckers Christoph Froschauer. Es ging als das Froschauer Wurstessen in die Geschichte ein und sollte einmal mehr auf die Freiheit des Glaubens hinweisen, der sich eben an der biblischen Überlieferung orientiert und nicht an irgendwelchen festgefahrenen kirchlichen Lehren.
Die reformatorische Kritik am Fasten steht damit in einer langen biblischen Tradition. Wir haben es in der Lesung gehört, wie der Prophet Jesaja die Zeitgenossen kritisiert, die nach außen fromm fasten und hinter den Kulissen weiter hadern und zanken und mit gottloser Faust dreinschlagen. Das ist eine Mogelpackung. Hinter dem, was ein Mensch nach außen zeigt, sollte auch eine innere Haltung stehen, und außen und innen sollten sich entsprechen. Nicht nur Jugendliche fordern einen „echten“ Glauben und nicht nur Jugendliche sind entsetzt über die Missbrauchsskandale ausgerechnet in der Kirche und die hilflosen Versuche, das Leid der Opfer auch noch unter den Tisch zu kehren. Wo außen „christlich“ draufsteht, da sollte authentische „Nächstenliebe“ drin sein.
Auch Jesus stand dem Fasten kritisch gegenüber. Seine Zeitgenossen, die strenggläubigen Pharisäer fasten. Die Jünger von Johannes dem Täufer fasten. Und Jesus wird gefragt: Warum fasten deine Jünger nicht? Jesus antwortet: Wie können die Hochzeitsgäste fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist? Aber er räumt ein: Es werden aber Tage kommen, da der Bräutigam von ihnen genommen ist; dann werden sie fasten, an jenem Tage.
Und vielleicht wird an dieser Antwort deutlich, dass es auf die Glaubwürdigkeit ankommt. Es ist ein Irrtum, dass Gott sich durch Selbstkasteiung gnädig stimmen ließe. Niemand macht sich Gott zum Freund, wenn er Fastenregeln einhält – schon gar nicht, wenn sein übriges Verhalten nicht dem Geist seiner Liebe entspricht. Aber da, wo Menschen aus freien Stücken selbstbestimmt Verzicht üben, da kann aus dem Fasten ein gesundes Heilfasten werden für Leib und Seele.
Fasten hilft ausmisten, mich trennen von allem, was überflüssig ist. Mehr noch: Ich kann mich trennen von allem, was mich belastet, was im Wege ist zwischen Gott und mir.
Fasten hilft die Balance wiederzufinden, wenn falsche Einflüsse oder Bequemlichkeiten die Oberhand im Alltag meines Lebens gewinnen.
Fasten hilft zu einer heilsamen Veränderung meiner Blickrichtung: Ich lerne die Schöpfung in einem neuen Licht zu sehen und nehme mein Leben nicht als mein Besitz, sondern als eine Leihgabe meines Schöpfers wahr.
Der freiwillige Verzicht bringt mich weg von der Konzentration auf meinen eigenen Vorteil, hin zur Perspektive der Ausgewogenheit so wie sie Jesus im Gebot der Nächstenliebe zusammengefasst hat: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Und dann liegt auf dem Fasten eine große Verheißung, denn „dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten.“ Amen
Pfarrer Rainer Janus