Wort zum Sonntag – 14.11.2021

Matthäus überliefert uns das Gleichnis Jesu von den anvertrauten Talenten Silbergeld:

Es ist wie mit einem Mann, der auf Reisen ging. Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab.

Sofort ging der Diener, der die fünf Talente erhalten hatte hin, wirtschaftete mit ihnen und gewann noch fünf weitere dazu.

Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte, noch zwei weitere dazu. Der aber, der das eine Talent erhalten hatte, ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn.

Nach langer Zeit kehrte der Herr jener Diener zurück und hielt Abrechnung mit ihnen.

Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte, brachte fünf weitere und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen. Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn!
Dann kam der Diener, der zwei Talente erhalten hatte, und sagte: Herr, du hast mir zwei Talente gegeben; sieh her, ich habe noch zwei dazugewonnen. Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn!

Es kam aber auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte: Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mensch bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Sieh her, hier hast du das Deine. Sein Herr antwortete und sprach zu ihm: Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe. Du hättest mein Geld auf die Bank bringen müssen, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten. Nehmt ihm also das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! Denn wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein. (Mt 25, 14-30)

Jesus erzählt von einem Mann, der auf Reisen geht und sein Kapital drei Dienern anvertraut, bis er wiederkommt. Zwei der Diener erwirtschaften mit dem anvertrauten Vermögen Gewinn und verdoppeln das Kapital. Der dritte vergräbt die 30 Kilo Silber sicher in der Erde.

Wer heutzutage sein Geld auf die Bank bringt, dem ergeht es, wie diesem Dritten: Er wird zähneknirschend feststellen, dass er keine Zinsen mehr bekommt. Das Geld auf der Bank wird nicht mehr, sondern weniger. Aber das Gleichnis Jesu von den anvertrauten Talenten Silbergeld ist kein Gleichnis für Volksbänkler oder Sparkässler. Es geht Jesus nicht ums Geld. Das anvertraute Vermögen ist ein Bild für die guten Gaben, die uns allen in die Wiege gelegt worden sind. Und am Ende werden wir gefragt, wie wir mit unseren Gaben und Fähigkeiten umgegangen sind.

Der Schriftsteller Wilhelm Busch schreibt in einem Gedicht: Hass als Minus und vergebens wird im Leben abgeschrieben. Positiv im Buch des Lebens, wird verzeichnet nur das Lieben. Ob ein Minus oder Plus uns verblieben, zeigt der Schluss.

Begabungen sollen nicht brachliegen. Im Gegenteil: Sie sollen gefördert und vermehrt werden zum Wohle aller. Begabungen erkennen und fördern, wäre die Aufgabe unserer Pädagogen in Kindergärten und Schulen. Und wenn später der erwählte Beruf den Begabungen entspricht, dann trägt das sicherlich zu einem guten und erfüllten Leben bei.

Natürlich sind unsere Begabungen unterschiedlich und auch unterschiedlich verteilt. Jemand hat ein oder zwei Talente, jemand anderes hat fünf Talente. Aber alle Talente sind wichtig und die Vielfalt unserer Talente entspricht der Vielfalt des Lebens und der gesellschaftlichen Herausforderungen.

Zwei Kapitel lang beschäftigt sich der Evangelist Matthäus mit der Wiederkunft Christi zum Gericht am Ende aller Zeit (Mt 24,3-25,46) und damit auch mit der Bilanz eines Menschenlebens. Und immer gibt es auch die Menschen, die versagt haben, und die in der Finsternis enden, wo Heulen und Zähneknirschen ist. Die bequeme Vorstellung, dass der liebe Gott einfach allen alles durchgehen lässt und allen alles verzeiht, ist ganz offenbar nicht biblisch. Es gibt eben auch den Fall, dass Menschen mit ihrer Lebensführung scheitern und abgelehnt und verdammt werden.

Allerdings fragen wir uns, was hat der dritte Diener denn falsch gemacht, was ist der Grund für sein hartes Urteil. Hat er nicht recht, wenn er sagt: „Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast.“ Nach dem Recht und den Gesetzen jener Zeit war sein Verhalten hundertprozentig korrekt. Es genügte, anvertrautes Gut und Geld sicher in der Erde zu verbergen, um es zu gegebener Zeit auf Heller und Pfennig zurückgeben zu können. Fahrlässig und falsch wäre gewesen, das Geld nur in ein Tuch zu wickeln und im Haus aufzubewahren, wo es der Gefahr des Raubes und des Diebstahls ausgesetzt war.

Aber das Gleichnis Jesu spielt mit den Begriffen. Was für den materiellen Wert eines Silbertalents richtig und angemessen erscheint, das ist für die Begabungen, die Gott uns mit auf den Lebensweg gegeben hat völlig falsch und ungenügend.

Geld kann man getrost in der Erde vergraben und vergessen. Die Archäologen freuen sich, wenn sie es Jahrhunderte später wieder ausgraben und entdecken. Begabungen dagegen dürfen wir nicht vergraben und verstecken. Begabungen müssen wachsen und reifen. Sie dienen dem Leben, machen es reich. Sie sind wichtig auch und gerade im Blick auf das Wohl unserer Mitmenschen.

Das Leben darf um Gottes Willen nicht unter Angst und Sorgen verkümmern. Die Angst des dritten Knechtes vor einem harten Richter führt zu einer verkehrten Lebenshaltung. Und er tut Gott Unrecht, wenn er sagt: „Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast.“ Denn nur durch den Willen des Schöpfers hat der Mensch sein Leben und seine Zeit. Das ist die Saat, die der Schöpfer ausbringt und er wartet auf die Ente, die Dein Leben erbringt. An anderer Stelle sagt Jesus: An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.

Es ist falsch, vor Gott Angst zu haben. Gott fürchten heißt, Ehrfurcht vor ihm haben, ihn lieben und ehren. Der wiederkommende Weltenrichter verdammt nicht, sondern richtet den Menschen mit den Augen der Liebe und der Barmherzigkeit. Er ist uns Freund und Begleiter auf unserm Lebensweg. Matthäus schließt sein Evangelium mit dem Versprechen Jesu: Siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Allerdings gehört zur Liebe auch die Freiheit. Und Gott lässt dem Menschen die Freiheit. Keiner muss an Gott glauben. Keiner muss in Gottes Wort Trost finden. Jeder kann sich seinen Sinn im Leben selber konstruieren. Der Mensch hat die Freiheit, sich gegen Gott zu entscheiden. Und Gott akzeptiert diese Freiheit des Menschen. Aber inmitten dieser Freiheit begegnen wir der ernsten Seite Gottes - manche sprechen von der dunklen Seite Gottes. Der Apostel Paulus weist uns darauf hin, wenn er im Römerbrief schreibt: Darum sieh die Güte und den Ernst Gottes. Denn wer Gott verlässt, wird am Ende keinen Trost bei ihm finden. Heulen, Zähneknirschen sind Bilder für die Gottlosigkeit und die Gottesferne des Menschen, der sich von Gott losgesagt hat.

Aber es ist nicht nur Gott allein, der uns fragen wird, was wir aus unserem Leben gemacht haben, was wir getan und unterlassen haben. Es sind unsere Kinder und unsere Mitgeschöpfe, die uns fragen, was wir aus ihrem Lebensraum machen und gemacht haben. Und die Chance, die Folgen des menschlichen Vernichtungskrieges gegen die Natur wenigstens abzumildern, wird in Glasgow wieder einmal nur unzureichend und halbherzig umgesetzt.

Viele Menschen sagen, sie würden vieles anders und richtiger machen, wenn sie die Chance hätten, ihr Leben noch einmal zu leben. - Ich würde mir mehr Zeit nehmen für die Kinder, mehr Zeit für die Menschen, die mir wichtig sind. Manches, was misslungen ist, hätte gelingen können, wenn ich nur über meinen eigenen Schatten hätte springen können, wenn ich mehr Geduld hätte aufbringen können. Ich würde bewusster und verantwortlicher leben.

Der, der jetzt auf Reisen ist, aber wiederkommen wird, der sagt Dir: „Tu es! Mach vieles ganz anders! Nimm Dir Zeit für Deine Kinder und für deine Mitmenschen. Spring über deinen Schatten. Übe Dich in Geduld. Tu, was Dein Leben gelingen lässt, und tu es ganz einfach im Vertrauen auf den liebenden Gott, der es Dir geschenkt hat, und Tag für Tag.“

Wir alle wissen: es gibt nur eine Chance, nur ein Leben und nur einen Lebensraum. Aber es gibt nichts, was uns hindern könnte, heute schon ein neues Leben zu beginnen, vieles anders und richtiger zu machen. Wir könnten uns auf unsere Gaben und Fähigkeiten besinnen, die irgendwo versteckt und verkümmert in uns schlummern. Wir bräuchten unsere Talente nicht zu verstecken. Wir könnten uns begeistern lassen, mit unseren bescheidenen Gaben und Fähigkeiten Gottes Güte in dieser Welt zu mehren – damit Leben gelingt in Zeit und Ewigkeit. Amen

Ihr Pfarrer Rainer Janus