Wort zum Sonntag – 10.10.2021

Das Bibelwort zu diesem Sonntag steht im Buch des Proheten Jesaja. Der Prohet besucht König Hiskia als er krank darniederlag:

Dies ist das Lied Hiskias, des Königs von Juda, als er krank gewesen und von seiner Krankheit gesund geworden war:

Ich sprach: In der Mitte meines Lebens muss ich dahinfahren, zu des Totenreichs Pforten bin ich befohlen für den Rest meiner Jahre.

Ich sprach: Nun werde ich nicht mehr sehen den HERRN, ja, den HERRN im Lande der Lebendigen, nicht mehr schauen die Menschen, mit denen, die auf der Welt sind. Meine Hütte ist abgebrochen und über mir weggenommen wie eines Hirten Zelt. Zu Ende gewebt hab ich mein Leben wie ein Weber; er schneidet mich ab vom Faden. Tag und Nacht gibst du mich preis; bis zum Morgen schreie ich um Hilfe; aber er zerbricht mir alle meine Knochen wie ein Löwe; Tag und Nacht gibst du mich preis.

Ich zwitschere wie eine Schwalbe und gurre wie eine Taube. Meine Augen sehen verlangend nach oben: Herr, ich leide Not, tritt für mich ein!

Was soll ich reden und was ihm sagen? Er hat's getan! Entflohen ist all mein Schlaf bei solcher Betrübnis meiner Seele. Herr, davon lebt man, und allein darin liegt meines Lebens Kraft: Das lässt mich genesen und am Leben bleiben. Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe; denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück. Denn die Toten loben dich nicht, und der Tod rühmt dich nicht, und die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue; sondern allein, die da leben, loben dich so wie ich heute.

Der Vater macht den Kindern deine Treue kund. Der HERR hat mir geholfen, darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben, im Hause des HERRN! (Jesaja 38, 9-20)

Sein Name war Alex, Alex W. aus Idar-Oberstein. Seine Mutter beschreibt ihn als lebenslustig, charismatisch, chaotisch, verrückt und ungeheuer liebevoll. Familie und Freunde haben in der vergangenen Woche in einer bewegenden Trauerfeier von ihm Abschied genommen. Alex hatte das Leben noch vor sich. Er war Student. Als Kassierer an der der Tankstelle verdiente er das Geld fürs Studium. Pflichtgemäß machte er seinen Mörder auf die Maskenpflicht aufmerksam. Was geschehen ist, das wissen wir aus den Medien. Der Mörder kam mit einer Waffe zurück.

Alex war gesund. Krank war und ist sein Mörder, angefressen von krausen Gedanken über Corona und dem Hass auf die, die die Gefahr einer Covid 19 Erkrankung ernst nehmen. Aber die Mutter rief in ihrer Trauerrede dazu auf, nicht dem Hass Raum zu geben, sondern der Liebe. Das ist ein wichtiges und wertvolles Wort, denn der Hass macht Menschen krank. Mit der Kraft der Liebe heilen auch alte Wunden.

In einem alten Kirchenlied heißt es: Wer weiß, wie nahe mir mein Ende! Hin geht die Zeit, her kommt der Tod. Ach, wie geschwinde und behende kann kommen meine Todesnot! Und dieses Lied bringt zum Ausdruck, was Menschen zu allen Zeiten erfahren haben: Es gibt in diesem Leben keine Sicherheit. Jedes Leben hängt an einem seidenen Faden und ist zu jeder Stunde vom Tode bedroht. Und es gibt da auch keinen Unterschied zwischen Jung und Alt, Mann und Frau, Tankwart oder König.

Hiskia, von dem in unserem Bibelwort die Rede ist, war das, was man einen guten König, einen verantwortungsvollen Herrscher nennt. Er gehört zu den wenigen Königen in Jerusalem, die in der Bibel so richtig gelobt werden. Und Hiskia wird gelobt, nicht nur für eine Politik, die dem Land einen wirtschaftlichen Aufschwung gebracht hat, sondern auch für sein Engagement in Sachen Religion. Hiskia orientiert sich selbst an Gottes Gebot und setzt eine Reform des Tempels durch. Hiskia stellt sich auf die Seite des Gottes, der das Leben geschaffen hat, der alle seine Lebewesen liebt, und der unser Leben bewahren will in Zeit und Ewigkeit.

Ausgerechnet diesen gottesfürchtigen König trifft nun in der Blüte seiner Jahre eine Krankheit, die nach den damaligen medizinischen Kenntnissen zum Tode führt. Es ist von einem Geschwür die Rede, aber es ist nicht bekannt, um welche Art von Geschwür es sich gehandelt haben mag. Hiskia hadert mit seinem Schicksal und er hadert mit seinem Gott wie einst Hiob, dem einst alles genommen wurde, was ihm lieb und wert war, und der mit Krankheit geschlagen wurde, obwohl er ein frommer und ehrenwerter Mensch war.

In dieser Situation kommt der Prophet Jesaja zu einem Krankenbesuch in den Palast. Vielleicht war der Prophet gekommen, um Abschied zu nehmen. Aber der kranke, sterbende König nimmt ihn mit hinein in sein Klagen und sein Hoffen. Darum ist die Seelsorge am Krankenbett so wichtig, weil wir in dieser Situation der Angst Menschen brauchen, die zuhören können, die unsere Gedanken mitdenken, die mit uns nach Antworten suchen – und seien es Antworten, die uns helfen, Abschied zu nehmen.

Ganz oft erlebe ich, dass Menschen ihre Krankheit für eine Strafe halten, deren Sinn sie nicht verstehen. Sie fragen: Warum muss dieses schwere Schicksal ausgerechnet mir widerfahren? Was habe ich getan, was habe ich falsch gemacht, dass diese Krankheit über mich gekommen ist? Warum so schnell, warum so früh, fragen Angehörige, wenn sie dann doch Abschied nehmen müssen.

Es ist so: Manche Fragen finden keine Antwort. Aber dann gleich vom unergründlichen Willen Gottes zu sprechen, und damit einem strafenden Gott die Schuld zuzuweisen, das ist vorschnell und falsch. Der Wille Gottes ist nämlich gar nicht so unergründlich. Gott hat seinen Willen dokumentiert in den 10 Geboten, in den Schriften der Bibel. Er ist ein Gott, der das Leben liebt und nicht den Tod. Er ist ein Gott, der Heil und Heilung schenkt für Leib und Seele.

Auch die Jünger Jesu fragen: Der Bettler am Straßenrand, der von Geburt an blind ist, hat er gesündigt, oder seine Eltern? Und Jesus antwortet: Weder er noch die Eltern sind schuld. Seine Blindheit, seine Krankheit, sein Schicksal ist nicht als Strafe für Verfehlungen zu verstehen, nein die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden. Und Jesus wendet sich dem Blinden zu, heilt seine Augen, macht ihn gesund im Namen des Gottes, dem das Leben und Wohlbefinden seiner Geschöpfe niemals gleichgültig ist.

Der König auf dem Totenbett klammert sich an diesen Gott. Er klagt diesem Gott sein Leid und seine Angst. Er betet zu diesem Gott. Er schreit zu diesem Gott. Er rechtet mit diesem Gott. Und durch den Mund des Propheten erfährt er schließlich, dass dieser Gott ihm das Wunder der Heilung schenken will.

Gott lässt sich bewegen. Er hört das Klagen und Beten und Schreien. Er schenkt neue Jahre, neues Leben, neue Gesundheit. Die Krankheit muss weiter behandelt werden, aber der König kann noch 15 Jahre zum Wohle seines Volkes regieren.

Es gibt das Wunder der Genesung auch heute in der rationalen Welt der Medizin. Vielleicht ist jede Genesung ein kleines Wunder und vielleicht sind auch die vielen Möglichkeiten zur Behandlung, über die unsere Ärzte heute verfügen, so eine Art Wunder. Kommt es nicht einem Wunder gleich, dass es gelungen ist, in so kurzer Zeit einen neuartigen Impfstoff gegen das gefährliche Virus zu entwickeln, das schon so viele Todesopfer gefordert hat? Was Monate zuvor noch unmöglich erschien, wurde in Jahresfrist möglich gemacht. Und jetzt im Nachhinein kann auch alles rational erklärt werden. Aber neben diesen rationalen Wundern, die zwar erstaunlich aber mit der Vernunft erklärbar sind, gibt es auch nicht erklärbare Wunder:  Es gibt die Menschen, die schon austherapiert waren und von den Ärzten aufgegeben wurden und die wider Erwarten, wider allen Prognosen der Fachleute, wider allen rationalen Erklärungen immer noch leben, dankbar für jeden Tag, dankbar für jede Stunde.

Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe.

Das Gebet des Königs, sein Schreien, bewegt Gott. Aber das Gebet bewegt auch den König selbst. Noch ist er nicht gesund geworden. Noch bedarf sein Geschwür der Behandlung. Noch kann er sich nicht von seinem Krankenlager erheben. Aber der Trost, um den ihn bange war, der ist zurückgekehrt in sein Leben. Die Hoffnung ist zurückgekehrt. Und mit der Hoffnung auch die Kraft, der Lebenswille und mitten in der Krankheit auch ein Stück Lebensqualität.

Auf jeden Fall war der Besuch des Propheten Jesaja am Krankenbett des Königs wichtig. Er hat etwas bewirkt. Er hat geholfen. Und vielleicht war es nur das, dass der Patient erinnert wurde, dass Gott unser Freund und Begleiter sein in guten wie in schweren Tagen, in Gesundheit und in Krankheit, in Not und Elend. Gottes Trost und Hilfe ist immer nur ein Gebet weit entfernt. Und nichts kann uns hindern mit allen unseren kleinen und großen Sorgen zu ihm zu kommen, und von ihm alles Gute zu erwarten in Ewigkeit. Amen

Ihr Pfarrer Rainer Janus