Wort zum Sonntag – 08. November 2020

Im ersten Brief an die Gemeinde in Thessaloniki schreibt der Apostel Paulus:

Von den Zeiten aber und Stunden, Brüder und Schwestern, ist es nicht nötig, euch zu schreiben; denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht.

Wenn sie sagen: »Friede und Sicherheit«, dann überfällt sie schnell das Verderben wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entrinnen.

Ihr aber seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme. Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis.

So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.
(1 Thess. 5, 1-6)

Das Sprichwort sagt, dass der Kirchenschlaf bekanntlich der beste sei. Vielleicht hat das Sprichwort recht und es mag Menschen geben, die positive Erfahrungen mit dem Kirchenschlaf gemacht haben.

Aber die Schläfer - und zwar alle Schläfer, nicht nur die „Kirchenschläfer“ - haben die Verheißung, dass sie zu den Freunden Gottes gehören: denn es heißt ja im Psalm, seinen Freunden gibt er es im Schlaf. Wer - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr so gut schlafen kann, der weiß guten und erholsamen Schlaf umso mehr zu schätzen.

Aber, wenn es nicht nur hin und wieder einzelne Gottesdienstbesucher wären, wenn die ganze Kirche schlafen würde, wenn die Christen die Augen verschließen vor der Wirklichkeit, wenn sie die Zeichen der Zeit nicht mehr wahrnehmen, das hätte schlimme Folgen. Der Apostel Paulus schreibt: „Dann überfällt sie schnell das Verderben wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entrinnen.“

Der Brief an die Christen in Thessaloniki ist der erste Paulusbrief, den wir kennen. Und der Apostel steht in der Tradition der alttestamentlichen Propheten, wenn er einen Weckruf verfasst und an die frühen Christen appelliert, dass sie wachsam bleiben und nüchtern.

Sie haben sich herausrufen und befreien lassen aus ihrem Götzenglauben, die jungen Christen in Thessaloniki. Sie haben in Jesus Christus zur Liebe Gottes gefunden. Sie tragen die Hoffnung des ewigen Lebens in ihren Herzen. Aber das Leben geht weiter. Der Alltag holt sie wieder ein und die Bequemlichkeit. Zweifel keimen auf. Unzufriedenheit schafft Unfrieden. Wo der gute Wille fehlt, wächst von neuem das Unkraut der vielen Lieblosigkeiten. Der Glaube wird ausgehöhlt, verkommt zu etwas Äußerlichem und wird am Ende nicht mehr tragen.

Nicht nur der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht, auf leisen Sohlen, kaum bemerkbar, wenn nicht alle Sinne geschärft sind. So vieles andere schleicht sich ein in unser Leben, macht sich breit, obwohl es ganz und gar nicht zu uns gehört. Was getragen und getröstet hat, geht verloren, heimlich, schleichend, wenn gerade keiner darauf achtet.

Wer im Leben nicht wachsam und im Glauben nicht nüchtern bleibt, wer gar den Drogen verfällt, dem kann man leicht ein X für ein U vormachen.

In der Römerzeit hat der Wirt die Anzahl der Getränke in römischen Zahlen aufgeschrieben. Wenn einer fünf Gläser Wein getrunken hat, dann hat der Wirt ein römisches U, also ein V geschrieben. Aber mit fünf Gläsern Wein hat der Gast nicht mehr bemerkt, dass der Wirt die Striche ein klein wenig weiter gezogen hat. Aus dem V ist dann ein X geworden und am Ende hatte der Zecher nicht fünf, sondern 10 Gläser auf der Rechnung.

Drogen gibt es so viele, nicht allein den Alkohol. Sie trüben die Wahrnehmung. Sie lullen einen ein. Sie verzerren unsere Wahrnehmung und unser Urteilsvermögen. Und manche schauen auch ganz ohne Drogen weg, wenn ihre Hilfe gefragt ist, aus Angst vielleicht, Unlust, Trägheit des Herzens.

Gottes Maßstab ist die Liebe. Und Jesus hat gesagt: An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.

Sie sagen Frieden: Aber es ist kein Friede. Ohne Gerechtigkeit kann es keinen Frieden geben. Und am Frieden müssten alle teilhaben. Niemand müsste auf die Flucht gehen, niemand seine Heimat verlassen. Im Frieden müssten sogar alte Wunden wieder heilen.

Aber es ist kein Friede, auch heute nicht. Es kann kein Friede werden, solange Geiz und Habgier am Werke sind. Es kann kein Friede werden, wenn jeder seine Freiheit uneingeschränkt leben will, auch auf Kosten anderer. Es kann kein Friede werden, solange wir nicht alle im Einklang mit der Natur leben. Ihr seht doch die Früchte, daran könnt ihr erkennen, wie es um die Menschen bestellt ist. Lasst Euch kein X für ein U vormachen. Bleibt bei der Wahrheit.

Der Apostel Paulus sieht sehr genau, wie weit diese Welt von Gott entfernt ist, von seiner Liebe und von seiner Begeisterung für das Leben. Aber er weiß darum, dass Gott sein Heilswerk in Jesus Christus bereits angefangen hat. Die große Zukunft Gottes hat schon begonnen.

Christen leben in dieser Welt, sind Teil dieser Welt, aber durch ihren Glauben haben sie eine neue Perspektive. Sie sehen diese Welt mit den Augen Gottes. Sie sehen ihre Mitmenschen und Mitgeschöpfe im Lichte seiner Liebe – und die lässt sich nicht täuschen.

Darum brauchen wir die Gemeinschaft der Kirche, dass wir wachsam bleiben. Vier Augen sehen mehr als zwei. Gegenseitig sollen wir uns die Sinne schärfen, dass wir erkennen, wo die faulen Früchte wachsen, dass wir Unrecht beim Namen nennen, dass wir Böses mit Gutem überwinden. Gemeinsam sollen wir Gottes Wort hören und lesen und uns jeden Tag neu von seinem Willen leiten lassen.

Kein Gebet ist vergeblich, wenn es aus dem Herzen kommt. Jedes Wort des Trostes und der Hoffnung ist nötig und wichtig, jede Erinnerung daran, dass der Tag des HERRN kommt, wie ein Dieb in der Nacht. Jedes noch so kleine Zeichen des Friedens und der Versöhnung braucht diese Welt, jeden Fingerzeig der Liebe.

Wo viele kleine Menschen viele kleine Schritte tun im Geiste der Liebe Gottes, wo Christen das Licht der Wahrheit neu entdecken, da werden sie das Gesicht dieser Welt verändern.

Weil in der Mitte der Nacht der neue Tag anbricht, weil Gott am Horizont der Zeit erscheint, weil Menschen neu zum Glauben finden, sich begeistern lassen durch sein Gottes Wort, ihren Frieden finden und Trost im Gebet, darum hat diese Welt noch immer eine Chance und eine Zukunft.

„So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.“ Amen.

Pfarrer Rainer Janus

PDF Datei zum Herunterladen: Wort zum Sonntag Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr