Wort zum Sonntag – 08. August 2021

Die Bibel berichtet:

Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, an diesem Tag kamen sie in die Wüste Sinai. Sie brachen auf von Refidim und kamen in die Wüste Sinai, und Israel lagerte sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge.

Und Mose stieg hinauf zu Gott.

Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst. (2. Mose 19, 1-6)

Nach der biblischen Überlieferung erhält der Erzvater Jakob den Beinamen Israel, als er in der Dämmerung mit einer unbekannten Gestalt ringt und den Kampf nicht aufgibt. Übersetzt heißt der hebräische Name „Jisra'el“ Gott kämpft oder Gott herrscht.

Und vielleicht ist in diesem Namen das Entscheidende über den Gott Israels bereits gesagt: Dieser Gott gibt den Kampf um seine Geschöpfe nicht auf. Er ringt um uns und unser Heil bis dereinst sein Friede und seine Gerechtigkeit herrschen. Er ist der Gott der Liebe.

In der Evangelischen Kirche feiern wir den 10. Sonntag nach Trinitatis als Israelsonntag und gedenken im Gottesdienst der besonderen Geschichte Gottes mit seinem auserwählten Volk. Diese Geschichte mit seinem auserwählten Volk ist deshalb so wichtig, weil Gott sich darin zu erkennen gibt. Gott kommt auf die Menschen zu. Er zeigt sich so, wie er ist. Er offenbart seine Liebe.

Wir Menschen können Gott mit unserem Verstand nicht begreifen. Gott ist größer als unser Verstand. Gott ist der Schöpfer, der Zeit und Raum geschaffen hat. Gott ist überall und ewig, wir sind an unseren Lebensraum gebunden und dem Lauf der Zeit unterworfen. Aber Gott tritt herein in den Lauf der Zeit. Er beginnt eine Geschichte, eine Liebesgeschichte, mit den Menschen. Und diese Liebesgeschichte ist untrennbar verbunden mit den Nachkommen Abrahams, dem Erzvater Israels, der zum Segen werden sollte, für alle Geschlechter auf Erden, so die Verheißung, die am Beginn der Geschichte Gottes mit seinem Volk steht.

Die Wirklichkeit sieht anders aus: Der Konflikt im Nahen Osten bricht immer wieder von neuem auf. Das Morden hat kein Ende. Das Unrecht hat kein Ende. Der Hass hat kein Ende. Extremistische Palästinenser feuern im Namen Allahs Raketen auf Ziele Israel ab und die israelische Armee fliegt blutige Luftangriffe im Gazastreifen als Vergeltung ebenfalls im Namen Gottes. Wir spüren geradezu, wie der Gott der Liebe hier leidet. Und wir ahnen, wie weit die Menschen weg sind von der Liebe Gottes, wie sehr sie einander zum Fluch werden und nicht zum Segen.

In den Geboten Gottes heißt es: Du sollst nicht morden. Nach dem Willen Gottes soll Unrecht und Hass aufhören. Es soll Friede werden: Schalom, Friede sei mit dir, so grüßt man sich in Israel Tag für Tag. Asalam aleikum, Friede sei mit Euch, heißt es bei den islamischen Nachbarn in der arabischen Sprache. Die Menschen sehnen sich nach diesem Frieden. Aber sie werden erst Frieden finden, wenn sie den Gott finden, den Gott, der die Liebe ist und der mit Liebe allen Hass und alle Feindschaft überwindet.

Wir erinnern uns daran, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen mit der Sklavin Hagar und einen zweiten mit seiner Frau Sarah. So überliefert es die Bibel. Der erste Sohn trägt den Namen Ismael. Auf ihn führen sich die arabischen Völker zurück. Isaak gilt als Stammvater Israels. Es ist also so eine Art Bruderkrieg, zwischen Arabern und Juden, Muslimen und Israeliten. Ein Krieg, der nicht enden will, und der weiter geschürt wird von Generation zu Generation. Ein Krieg, der in der Religion verwurzelt ist, der aber dem Willen des liebenden Gottes vollkommen widerspricht.

Ein heiliges Volk sollt ihr sein. Die Erwählung des Gottesvolkes ist zum einen eine Gabe, zum anderen aber eine Aufgabe. Die Sklaven, die Befreiung von Knechtschaft erlebt und erfahren haben, sind Teil des großen Heilsplans Gottes. Alle Schöpfung ist Gottes Eigentum. Aber dieses Volk mit seiner besondern Geschichte soll ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Durch dieses Gottesvolk und seine Geschichte soll alle Welt etwas von diesem lebendigen Gott erfahren, seine Liebe erspüren.

Ein Königreich von Priestern sollt ihr sein. Der Priester gehört in der Auffassung der Antike zum heiligen Bereich – also zu dem, was Gott gehört und Gott gewidmet ist. Aber der Priester ist und bleibt Mensch mit allen Schwächen und Unzulänglichkeiten. Er ist den Menschen zugewandt und vollzieht den Gottesdienst. Er wird so zum Mittler zwischen Gott und den Menschen. Der Priester soll den Willen Gottes verkünden und mit seinem eigenen Leben zum Vorbild werden für ein Leben gemäß dem Willen Gottes. Der Priester soll den Segen Gottes nicht nur zusprechen, er soll durch sein Wirken zum Segen werden.

Die Erwählung Gottes ist untrennbar mit dieser priesterlichen Lebensweise verbunden. So verkündet es Mose dem Volk im Namen des lebendigen Gottes: Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Verbunden mit diesem Bundesschluss am Sinai sind die Zehn Gebote, die Gottes guten Willen zu einem guten und schöpfungsgemäßen Leben in kurzer Form zusammenfassen.

Die zehn Gebote sind längst anerkannt als ethische Leitlinien und Grundlagen unserer allgemeinen Menschenrechte. Die Gotteserfahrungen, die sich im ersten Teil der Bibel niedergeschlagen haben, sind untrennbar mit unserer christlichen Religion und unserm christlichen Glauben verbunden. Selbst der Islam hat jüdisch – christliche Elemente in sich aufgenommen, allerdings zum großen Teil in sehr veränderter und - aus unserer Sicht - falscher Form. Trotzdem kann man sagen, dass Menschen aller Völker und Nationen durch die Geschichte und die Erfahrungen Israels, wie sie in der Bibel berichtet werden, von Gott erfahren haben und von seinem Wort und Willen Kenntnis haben. Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott. So heißt es beim Propheten Micha.

Die Bibel berichtet auch davon, dass Gottes Volk allzu oft seiner Bestimmung nicht nachgekommen ist. Und sie berichtet davon, wie sehr Gott an der Sünde und den Verfehlungen der Menschen leidet. Sie berichtet vom Zorn Gottes, von der Strafe Gottes und von Gottes Erbarmen. Das alles passt nicht zu einem allmächtigen Gott, der von einem fernen Himmel herab die Geschicke der Menschen marionettengleich lenkt. Das alles passt zu einem Gott, dessen Allmacht in der Ohnmacht der Liebe besteht und der das Leid seiner Geschöpfe mit durchleidet. Das alles passt zu einem Gott, der seine Schöpfung bewahren will, durch Gerechtigkeit und Frieden heilen will, was Hass und Habgier zerstören.

Wir wissen, wie die Geschichte weitergegangen ist, wie die Menschen sich ein goldenes Kalb zum Gott gemacht haben, wie sie immer Gottes Gebote vergessen haben. Und auch heute ist es so: Die Menschen wenden sich ab von dem Gott, der sie liebt. Sie meinen, keine Zeit zu haben für die Fragen des Lebens und des Glaubens. Und sie machen sich ihre Götter selbst aus Geld und Gold. Aber sie finden nicht zum Frieden. Hätten wir stattdessen nicht Gründe genug, unserem Gott dankbar zu sein? Für Frieden und Freiheit, die wir genießen, für den Fall der Mauer vor 32 Jahren, für die Gesundheit in Zeiten der Pandemie?

Schalom soll nicht nur ein Grußwort bleiben, gedankenlos dahergesagt. Schalom will Wirklichkeit werden im Leben aller Menschen, aller Völker und aller Kreatur. Schalom soll Raum greifen hier unter uns. Schalom beginnt, wo das Samenkorn der Liebe Gottes anfängt zu wachsen in den Herzen der Menschen. Und da, wo die Liebe unser Handeln bestimmt, wo wir uns selbst überwinden, wo wir zur Dankbarkeit finden und Gott die Treue halten, da kommt er mit seinem Kampf um uns zum Ziel. Amen.

Ihr Pfarrer Rainer Janus