Wort zum Palmsonntag
Das Bibelwort zum Palmsonntag ist überschrieben mit: Das hohepriesterliche Gebet:
Solches redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen: Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche; so wie du ihm Macht gegeben hast über alle Menschen, auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hast: das ewige Leben.
Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.
Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue. Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast. (Joh 17, 1-8)
Jesus betet. Wir werden Zeugen des Zwiegesprächs zwischen Jesus und seinem Vater im Himmel. Nichts ist zu spüren vom lärmenden Jubel des Einzugs in der Stadt, nichts von der umtriebigen Welt Jerusalems in der Woche vor dem Passahfest, aber auch kaum etwas von dem Leiden, das Jesus bevorsteht. Nicht Angst und Not, nicht Blut, Schweiß und Tränen des Karfreitags, nichts davon. Nur: Die Herrlichkeit Gottes im Gehorsam des Sohnes.
Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue. Jesu Blick geht hier nicht in das Dunkel, das ihm irdisch bevorsteht, sondern in das Licht der zukünftigen Herrlichkeit. Zeit und Welt liegt wie unter einem Schleier: Bei Gott, in seinem Licht, ist bereits alles entschieden. Wenn der Schleier zerreißt, wird auch die Welt es sehen: Was nun geschieht, das ist Erfüllung. Erfüllung in Zeit und Geschichte. Erfüllung des göttlichen Willens. Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast.
Der Gott der Liebe vollendet seinen Heilsplan für die Menschen, die er geschaffen hat und liebt durch das Kreuz und die Auferstehung. Nicht das eine ohne das andere. Nicht das andere ohne das eine. Der Mensch Jesus von Nazareth fügt sich hinein in den Willen dessen, der Anfang und Ende in seinen Händen hält. Und es ist wohl das Gebet, das ihm hilft, anzunehmen, was Gott ihm vorbestimmt hat.
Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, so schreibt später der Apostel Paulus.
Nur die Stille und das Gebet bringt uns dem Geheimnis näher, das in diesem Weg des Gehorsams liegt. Was die Welt als Scheitern erachtet, das ist der Sieg der Liebe. Seine Todesstunde ist die Stunde des Heils für diese kranke Welt.
Es gibt Menschen, die sagen: Wie kann Gott seinen Sohn sterben lassen. An diesen Gott kann ich nicht glauben.
Mit unserem menschlichen Verstand werden wir die Gedanken und Wege unseres Gottes nicht erschließen. Nur wer auf die Liebe des lebendigen Gottes vertraut, wird an die Auferstehung und ein ewiges Leben glauben können, so wie es in unserem Glaubensbekenntnis formuliert ist. Die besondere Zeit der Karwoche besonders begehen, das heißt ganz einfach, mit meinen Gedanken und mit meinem Erleben den Weg mitgehen, den Jesus für uns gegangen ist.
Wir weichen so gerne dem Anspruch Jesu aus, der von sich sagt: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.
Ist in unserer Welt nicht so vieles möglich? Hat nicht jeder irgendwie recht? Sollte Gott sich nicht auf vielen Wegen finden lassen? Die Bibel sagt: Nein. Die Frage nach Jesus Christus ist die alles entscheidende Lebensfrage. Und umgekehrt: Die Lebensfrage ist die Christusfrage. Sie ist darum so schwer zu beantworten, weil von dieser Frage so vieles abhängt in meinem Leben – und doch spürt mancher in sich die Sehnsucht, endlich ernst zu machen mit dem Glauben, endlich zu einem Leben zu finden, das Bestand haben kann, Bestand vor sich selbst und Bestand vor Gott. Es gibt nur einen Weg zum Vater und es gibt nur einen Weg zum Leben – und diesen Weg wird finden, wer wie Jesus den Weg des Gehorsam gegenüber dem heiligen Willen Gottes geht.
Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen, bekennt Jesus im Gebet.
Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges musste der Theologe Dietrich Bonhoeffer im KZ sterben - um dieser Frage willen. Denn um nichts anderes ging es im Kirchenkampf im 3 Reich: Kann es nicht auch Gotteserkenntnis ohne Jesus Christus geben? Nicht zufällig nannten sich diejenigen, die unter dem Einfluss des Nationalsozialismus die Kirche verließen, fortan „Gottgläubige“: Den Juden Jesus und die Bibel brauchten sie nicht mehr.
Die Bekennende Kirche hielt in ihrem Widerstand gegen den nationalsozialistischen Staat und seine Versuche, die Kirchen gleichzuschalten, fest an dem Bekenntnis zu Jesus Christus, dem einen Wort Gottes. Und für dieses Bekenntnis sind viele Männer und Frauen ihrem Herrn und Heiland in den Tod gefolgt.
Wir sind dankbar, dass wir in einer anderen Zeit leben. Aber die Ereignisse unserer Zeit stellt uns ebenfalls vor wichtige Entscheidungen. Und vielleicht sollten wir uns auch heute stärker bewusst machen, dass ewiges Leben nicht etwas ist, was es auch noch gibt, jenseits, zusätzlich zu unserem Leben. So gewiss ewiges Leben dem Tod nicht unterworfen ist, so gewiss beginnt es doch schon hier und jetzt, wo Menschen sich von Christus heimführen lassen. Wo sie ihre eigene Mitte wiederfinden, weil sie mit Christus um ihr Woher und Wohin wissen.
Woher komme ich? Bin ich ein Produkt des Zufalls oder eines genetischen Codes? Oder kann ich mit Martin Luther sagen: Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen?
Wohin gehe ich? In ein Nirgendwo, in die Vernichtung und das ewige Vergessen? Ist es nur eine Redewendung, wenn wir vom Sterben als von einem „Heimgehen" sprechen?
Jesus wusste, woher er kam und wohin er ging. Und er wusste um seinen Auftrag: Uns mitzunehmen auf seinem Weg zu Gott.
Auch Dietrich Bonhoeffer starb in der Gelassenheit des Glaubens. Seine letzten überlieferten Worte waren: Das ist das Ende. Für mich der Beginn des Lebens. Gestern war sein Todestag. In den frühen Morgenstunden des 9. April 1945 starb er als Zeuge des Glaubens an Jesus Christus.
Wir gehören Gott. Im Leben und im Sterben. Wir gehören Gott, und wir sind Christus übergeben und anvertraut, dass er uns zum Leben führe. Dass er uns erlöse aus dieser Welt der Beliebigkeit und in die Wahrheit führe. Dorthin, wo es nicht mehr um unsere Lebensentwürfe und Lebensversuche geht, sondern um ewiges Leben aus der Quelle allen Seins, Leben von Gott.
„Dabei sein ist alles“ sagt das Sprichwort. Es geht aber nicht darum, alles zu haben und überall dabei zu sein, wie es uns in der Welt der Medien vorgegaukelt wird. Das alles führt uns weg, von der Mitte unseres Lebens. Es geht darum, dass wir Anteil bekommen an dem Heil, das Christus uns bereitet hat, dass wir Teilhaber der Gnade und der Wahrheit werden. Nicht Weltbürger im Reiche des scheinbaren Dabeiseins sollen wir sein, sondern Gotteskinder im Reiche des Vaters - Menschen, die um ihr Woher und Wohin wissen (und damit um ihr Zentrum), die Christus nachfolgen und sich in ihm verbunden wissen mit anderen Menschen, durch die Zeiten und über die Konfessionsgrenzen hinweg.
Hier ist das Dabeisein wichtig: In der Gemeinschaft der Kinder Gottes dabei sein, das ist Leben und Gemeinschaft, Sinn und Zukunft. Darum geht es: Christus geht in den Tod, opfert sein Leben, um uns das Leben zu erwerben, uns heimzuholen zu Gott unserem Vater.
Und so hoffe ich, dass diese Karwoche uns allen helfen möge, uns wieder neu auf unsere Mitte zu besinnen, dass wir im Trubel der Zeit zu innerer Einkehr finden und zu unserem Herrn Jesus Christus und zu uns selbst, dass wir von neuem erfahren, wovon wir leben, von der Vergebung und der Versöhnung mit Gott und den Menschen. Amen
Ihr Pfarrer Rainer Janus