Wort zum Karfreitag – 10. April 2020

Liebe Leserinnen und Leser,


der Apostel Paulus schreibt: Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von kei-ner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. (2. Kor 5, 19-21)

Zuerst eine Geschichte, die ich gelesen habe und die ich zuerst gar nicht richtig glauben wollte. In einer Stadt in Spanien soll folgendes passiert sein:

Ein Vater hatte Streit mit seinem Sohn. Der Streit eskaliert. Ein Wort ergibt das andere. Die beiden schreien sich an. Es kommt, wie es kommen muss: Die Türe fällt ins Schloss. Mit dem Rucksack über der Schulter lief der Sohn von Zuhause weg. Ohne zu sagen, wohin.

Wochenlang hörte der Vater sie nichts von ihm. Der Sohn meldete sich nicht. Der Vater hatte keine Telefonnummer, keine Adresse, keine Ahnung, wo sein Sohn überhaupt sein könnte.

Nach über sechs Monaten fasste er sich ein Herz und sagte sich: Ich unternehme einen Versuch. Ich will meinen Sohn zurückgewinnen. Ich liebe ihn und wenigstens das muss ich ihm sagen. Und er gab eine Zeitungsannonce auf.

Paco, so hieß der Junge – und Paco ist in Spanien offenbar ein sehr weit verbreiteter Name - Paco, lass uns vergessen, was war und noch Mal neu anfangen. Am Sonntag werde ich um drei Uhr nachmittags am Bahnhof stehen und auf dich warten. Dein Vater.

Am Sonntag um drei Uhr nachmittags war der Vater am Bahnhof. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Am Bahnhof hatte sich eine ganze Schar von jungen Männern eingefunden, die offenbar Paco hießen, und die alle auf einen Vater warteten, der zu ihnen sagt: Es ist wieder alles gut. Komm zurück. Das Alte ist vergessen und vergeben. Lass uns neu anfangen. Der richtige Paco aber war nicht dabei. Er hatte die Nachricht wohl nicht gelesen.

Manchmal wünschen wir uns, wir könnten das Rad der Zeit zurückdrehen und etwas ganz anders, viel besser machen. Ganz besonders dann, wenn eine Beziehung zu Ende geht und wenn ein Wort das andere gegeben hat und eine Freundschaft oder eine ganze Familie daran zerbricht. Aber Unversöhnlichkeit ist wohl einer der verbreitetsten Charakterzüge des Menschen.

Ich erinnere mich an den Besuch von Kurt Solomon Maier vor einigen Jahren hier in Friesenheim. Kurt Solomon Meier stammt aus Kippenheim und ist einer der letzten Zeitzeugen der Deportation unserer jüdischen Mitbürger in Baden nach Gurs und in die Vernichtungslager vor 80 Jahren. Viele Überlebende des Holocaust haben deutschen Boden nie wieder betreten, die deutsche Sprache nie mehr gesprochen. Sie waren unversöhnlich - verständlich nach dem was ihnen und ihren Familien angetan worden war.

Kurt Solomon Maier hielt immer wieder Vorträge, zeigte Bilder, erzählte von seiner Familie und der Kindheit in Kippenheim und der Großmutter aus Friesenheim. Er sagte: Was geschehen ist, kann man nicht ungeschehen machen. Aber man kann davon berichten und so dazu beitragen, dass so etwas nie wieder geschieht.

Wenn man ihn fragen würde, ob er Versöhnung zwischen Opfern und Tätern für möglich hält, würde er wohl nur traurig den Kopf schütteln. Aber in Wirklichkeit ist es so: Versöhnung beginnt schon in dem Augenblick, in dem man das Augenmerk von der Vergangenheit abwendet und in die Zukunft blickt und sagt: So etwas darf niemals wieder geschehen.

Der Vater von Paco fasst sich ein Herz, er lässt den Streit und die bösen Worte auf sich beruhen. Er schaut in die Zukunft und sagt: Ich will wieder Frieden haben.

Auch der Apostel Paulus hat die Zukunft im Blick. Er sagt, Jesus ist deshalb gestorben, damit die Menschen eine Zukunft haben, damit sie in Zukunft nicht mehr sich selbst leben, sondern für den, der für sie gestorben und auferstanden ist.

An seinem Kreuz können wir die Lasten der Vergangenheit ablegen. Er lässt das Vergangene vergangen sein und öffnet uns den Weg, Versöhnung und Frieden zu finden. Alles Leid, allen Schmerz hat Gott hat in Jesus Christus getragen. Der Gott der Bibel bleibt nicht unberührt von dem, was uns Menschen so zu schaffen macht. In dem Mann am Kreuz macht Gott sichtbar, was er empfindet: er zeigt uns, wie unsagbar er leidet. Um uns das vor Augen zu stellen ist er selbst Mensch geworden, uns Menschen gleich, und er kommt nicht als allmächtiger Gott zu uns, sondern als ein ohnmächtiger Bittsteller: Lasset euch versöhnen! Das ist seine Bitte.

Ein Bittsteller hat keine große Macht. Er bedrückt und nötigt keinen. Er lässt uns die Freiheit Ja zu sagen oder Nein. Herren befehlen. Richter urteilen. Politiker machen Meinung. Gott aber bittet und lädt ein: Nehmt meine Liebe, nehmt meine Versöhnung an.

Der Gott der Bibel ist kein Gott, der die Menschen wie Marionetten tanzen lässt. Er hat die Menschen als sein Gegenüber geschaffen mit einem freien Willen. Aber er hat Partei ergriffen für die Machtlosen, für die Opfer dieser Welt. Er kennt des Menschen Leid und er leidet mit. Wir spüren: Mit diesem Kreuz auf Golgatha beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte Gottes mit uns Menschen. In Jesus Christus hat Gott uns seine Liebe erzeigt, bis in den Tod und über den Tod hinaus zur Auferstehung und zum ewigen Leben.

Gott ist Mensch geworden damit auch wir wieder Menschen werden - Schwestern und Brüder - und damit wir uns ergreifen lassen von diesem Geschehen des Karfreitags. Er will, dass auch wir uns mit unter sein Kreuz stellen und damit auf die Seite derer, die zu den Opfern und Verlierern dieses Lebens gehören, und gleichzeitig auf die Seite derer, die selbst Versöhnung erfahren haben und die Vergebung ihrer Schuld.

Das Ja zu diesem Gott verändert unser ganzes Leben. Paulus sagt: Es macht uns zu Botschaftern an Christi statt. Wir werden frei, die Versöhnung, die wir selbst erfahren haben, weiterzugeben an andere, die noch gefangen sind in sich selbst und die von der Nähe und der großen Liebe unseres Gottes noch nichts wissen.

Wenn Gott Mensch geworden ist, wenn er unser Leid geteilt und getragen hat, wenn er einen neuen Anfang gemacht hat - wie können wir dann noch die Alten bleiben? Gottes neue Schöpfung hat in Christus begonnen, und sie wächst da, wo Menschen seine Bitte hören: Lasst euch versöhnen mit Gott!

Er liebt uns, deshalb bietet er uns die Versöhnung an. Und da, wo Menschen wieder eine Beziehung finden zu Gott, und wo sie in dieser Beziehung Heil erfahren, da werden auch unsere anderen Beziehungen wieder heil, da keimt Friede auf. Das Marterholz wird zum Lebensbaum, an dem Hoffnung sprosst. Darum: Lasst euch versöhnen mit Gott. Gott wartet auf dich. Nicht nur am Sonntag um 3 Uhr am Bahnhof, sondern zu jeder Stunde und an jedem Ort.

Ich grüße Sie herzlich zum Karfreitag - inmitten dieser ungewöhnlichen Corona-Zeit!

Ihr Pfarrer Rainer Janus

Wort zum Karfreitag