Wort zum Karfreitag – 02. April 2021

Lange bevor Jesus von Nazareth sein Kreuz durch die Straßen von Jerusalem geschleppt hat, sprach der Prophet Jesaja vom leidenden Gottesknecht.

Im Buch des Propheten lesen wir:

Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit.

Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.

Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.

Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben und er soll die Starken zum Raube haben dafür, dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten.

Wer hört die Schreie der Opfer, wer sieht ihre Not und Verzweiflung, wer wird aufmerksam auf die Tränen in ihren Augen? - Schreie verhallen, fremde Not und die Verzweiflung der anderen lässt uns kalt, Tränen rühren unsere Herzen nicht an.

Aber Gott hört die Schreie. Gott hat gute Ohren. Und Gott sieht die Not in dieser Welt und nimmt wahr die Verzweiflung derer, die zu den Opfern gehören. Er verschließt seine Augen nicht und er sieht, wo seine Geschöpfe leiden. Und er sieht auch die Tränen in ihren Augen und die Tränen rühren sein Herz an.

Gott handelt. Seine Welt, die er zum Guten geschaffen hat, wird er nicht der Bosheit überlassen. Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Ausbeutung, Hass, Gewalt und Krieg liegen wie ein böser Fluch über der Welt. Das kann und darf nicht so bleiben. Schuld muss aus der Welt geschafft werden, um der Zukunft willen.

Im Tempel zu Jerusalem wurden Opfer dargebracht. Lämmer und Stiere wurden geschlachtet. Eigene Schuld, Versäumnisse, Verstöße und Verfehlungen wurden dem Opfertier aufgeladen und durch seinen Tod – so war die Vorstellung – wurde diese Schuld getilgt und aus der Welt geschafft.

In jener dunklen Zeit, als das Wort des Propheten aufgeschrieben wurde, war der Tempel zerstört. Leiden und Verzweiflung fanden kein Ende. Die Menschen fragten nach Gott. Und manch einer begann, Gott in Frage zu stellen. Hörte er denn nicht auf ihr Schreien, sah er nicht ihr Leiden, ließen ihn die Tränen in ihren Augen kalt? Und auch wir fragen: Warum greift Gott nicht ein, wenn eine böse Krankheit unser Leben bedroht, warum setzt er dem Krieg und der Gewalt keine Grenzen?

Gott handelt, auch wenn die Menschen das nicht erkennen. Gott handelt durch seinen Knecht, der freilich nicht mit Macht und Herrlichkeit in diese Welt kommt, sondern arm, elend und verachtet.

Erst später erkennen Menschen. Er war es, der unsere Krankheit getragen hat. Er war es, der unsere Schmerzen auf sich geladen hat. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Gott will diese unheile Welt mit ihren tiefen Wunden heilen, den Menschen wieder Hoffnung und Zukunft schenken. Aber Gott braucht keinen Tempel und er braucht auch kein Opfertier, kein Lamm und keinen Stier. Gott selbst lädt sich die Schuld der Welt auf seine Schultern. Er wird selbst zum Opfer. Er leidet für uns.

Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird.

Die Welt ist nicht besser geworden. Gewalt und Hass sind furchtbare Realität in Syrien, in Myanmar und vielen anderen Ländern dieser Erde. Den Qualen des Schmerzensmannes wird Tag für Tag, Stunde für Stunde so manches hinzugefügt. Und wie oft lassen das einfach geschehen, nehmen es gar nicht zur Kenntnis, begehren nicht dagegen auf, werden mitschuldig?

Gott aber hört die Schreie, er sieht die Not und die Verzweiflung. Gott steht auf der Seite der Opfer und leidet ihre Schmerzen, ihren Tod.

Auch wenn die Welt nach seinem Leiden und Sterben nicht besser geworden ist, auch wenn die Bosheit der Menschen immer neue Dimensionen erreicht, so hat die Welt doch eine ganz entscheidende Veränderung erfahren. Und diese Veränderung liegt in der Hoffnung, dass die Liebe, die in Gottes Herzen wohnt und ihn bewegt, am Ende die Bosheit in uns Menschen überwindet und unsere wunden Seelen heilt. Seine Liebe erfüllt unsere Herzen und will so das Gesicht der Welt verändern.

Wir leben in einer Welt, die immer noch und immer dringender auf Erlösung wartet, auf Gerechtigkeit und Frieden. Aber wir dürfen mitten in dieser Welt, mitten im Strudel von Pandemie und politischen Umbrüchen, darauf vertrauen, dass der, der in seiner grenzenlosen Liebe sein Leben für uns gelassen hat, sein Heil vollenden wird - heute schon durch die Liebe, die in unseren Herzen wohnt, und ganz gewiss in Ewigkeit. Amen.

Ihr Pfarrer Rainer Janus