Wort zum dritten Advent 2021
Der Apostel Paulus schreibt in seinem ersten Brief an die Christengemeinde in Korinth:
Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.
Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden. Mir aber ist's ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir zwar keiner Schuld bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist's aber, der mich richtet.
Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und das Trachten der Herzen offenbar machen wird. Dann wird auch einem jeden von Gott Lob zuteilwerden.
„Hast du heute schon dein Kind gelobt?“ Das war ein Buchtitel vor schätzungsweise 30 Jahren. In diesem Buch wurden interessante Feststellungen getroffen. Da hieß es beispielsweise:
- Kinder, die mit Ermutigung leben, lernen Vertrauen zu entwickeln
- Kinder, die gelobt werden, lernen andere schätzen
- Kinder, die akzeptiert werden, lernen lieben
- Kinder, die Freundlichkeit und Achtung erfahren, lernen andere zu respektieren.
Ich denke, dieses Buch war und ist wichtig für alle, die bisher nach dem Motto gelebt haben „Nicht gescholten, ist Lob genug.“ Auch unsere Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen könnten es immer mal wieder lesen. Denn, was spornt mehr an, als ein Lob für ordentliche Leistungen. Oder mancher Manager oder Geschäftsführer könnte dieses Buch mit in seinen Betrieb nehmen und sich selbst die Frage stellen: Hast du deine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heute schon gelobt?
Der Apostel Paulus jedenfalls stellt uns allen Lob in Aussicht. An dem Tag und der Stunde, an dem der Herr kommt, wird den Mitarbeitern Gottes ihr Lob zuteil.
Im Glaubensbekenntnis sprechen wir: „Von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten.“ Paulus sagt: Er wird ans Licht bringen, was im Finsteren verborgen ist und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Aber sein Richterspruch wird keine Verurteilung sein, sondern ein Freispruch. Er wird nicht tadeln, sondern loben, so dass ein jeder die Liebe Gottes spüren und empfinden wird.
In der multikulturellen Hafenmetropole Korinth versuchen verschiedene christliche Strömungen auf dem religiösen Markt der Möglichkeiten Ansehen zu erlangen, auf Kosten der jeweils anderen und damit letztlich auf Kosten des Evangeliums, wie Paulus bitter bemerkt.
Paulus versucht die Christen in Korinth, bei denen sich eine gewisse Verwirrung breitgemacht hat, eindringlich an das große Geheimnis Gottes zu erinnern, dass nämlich Gott in Christus diese geschundene Welt erlöst, dass er abwischen wird alle Tränen von unseren Augen.
Und Paulus beginnt mit einer ganz lapidaren Feststellung: Es kommt bei einem Christen nicht darauf an, was er für einen Eindruck vor den Menschen macht, sondern vielmehr darauf, was er in Gottes Augen darstellt, dass er nämlich mit seinem Leben ein Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse ist. Es geht nicht um die fromme und erfolgreiche, äußerliche Fassade, sondern um die Treue zu Gott. Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an. So heißt es in der Bibel.
Vielleicht wird nun jemand kommen und sagen: Wir kennen den Apostel Paulus und wir wissen wie sehr er sich selbst als Diener und Knecht Christi verstanden hat. Ist das nicht eine fragwürdige Dienstauffassung, die sich so sehr einer Sache unterordnet, dass die eigene Persönlichkeit völlig dahinter zurücktritt? Ich denke, das Glaubensverständnis des Paulus ist für Menschen, die gewohnt sind, Stärke und Erfolg zu präsentieren in der Tat nur sehr schwer nachzuvollziehen. Wir würden Paulus heute wahrscheinlich fragen, ob nicht das eigene "Ich", die Selbstentfaltung und die Selbstverwirklichung in diesem Dienstverständnis gegenüber Gott auf der Strecke bleiben.
Aber müssen nicht umgekehrt wir uns selbst fragen lassen, ob wir nicht zu sehr eingenommen und gefangen sind von unserem eigenen „Ich“. Hat nicht das moderne Streben nach Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung den Egoismus in dieser Welt selbstverständlich und hoffähig gemacht.
Dienen heißt ja, von sich selbr abzusehen, um einer anderen Sache willen. Das, was eine ichbezogene Gesellschaft vermutlich als Verlust von Möglichkeiten und Freiheiten interpretiert, kann aber auch ein Freiheitsgewinn, kann Ermöglichung von Identität sein. Die Freiheit vom Ich kann zur Freiheit zum Dienst werden. Paulus sieht das jedenfalls so – und sein Dienst am Wort Gottes schenkt ihm, dem in sich Zerrissenen und Umhergetriebenen, Freiheit und Identität.
Für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Reich Gottes ist dabei ein Wesensmerkmal unerlässlich. Es ist die Treue, auf die der Apostel ausdrücklich als Identitätsmoment des Dienens und Haushaltens hinweist. Eine Treue, die um Widerstände weis. Eine Treue, die sich im Widerstand erweist. Sie hält an dem fest, was andere schon preiszugeben bereit sind. Treue ist etwas Widerständiges in einer Welt, die so gerne dem schönen Schein folgt. Vielleicht steht die Treue heute gerade deshalb so hoch im Kurs, weil nur wenige Menschen wirklich zur Treue noch bereit sind.
Nach dieser Selbstverständigung über seinen Dienst als Apostel kommt Paulus auf sein eigentliches Thema in diesem Abschnitt des Korintherbriefes zu sprechen. Fast unvermittelt kommt er auf den Punkt, auf das, was ihn umtreibt. Der Apostel spricht zu den Korinthern vom Unterschied zwischen menschlichem Richten und Gottes Gericht. Und diesen Unterschied versucht er den Korinthern an seiner eigenen Person deutlich zu machen. Bei Gott zählt nicht das individuelle Gefühl der Schuldlosigkeit oder ein - nach außen hin - moralisch einwandfreies Leben. Selbst wenn man sich selbst keiner Verfehlung bewusst ist, kann man sich darin vor Gott nicht rechtfertigen. Gott ist's, der richtet, unabhängig von unserem subjektiven Gefühl von Schuld oder Schuldlosigkeit.
Gottes Richteramt macht uns frei von menschlichen Be- und Verurteilungen. Sie vermögen nicht wirklich über uns Auskunft zu geben - allenfalls bewerten sie eine singuläre Tat oder sie beurteilen eine momentane Reaktion. Und da wir uns selbst nie wirklich kennen, weist Paulus auch ein „Sich selbst-Richten“ weit von sich. – Das Richten und Beurteilen sollen wir getrost dem überlassen, der die Menschen so sehr liebt, dass er selber Mensch geworden ist und sein Leben gegeben hat, um unser Leben zu retten.
Nun wir vielleicht jemand kommen und sagen: Was hat das alles mit Advent zu tun? Wer mag denn in dieser adventlichen Stimmung an das Ende der Welt und an Gottes Gericht denken?
Ich denke: Unsere Vorstellungen von Gottes Richteramt über die Welt, von Gottes Gerechtigkeit am Jüngsten Tag sind möglicherweise zu dramatisch, zu unheilvoll. Wir stellen uns den Jüngsten Tag gewaltsam und vernichtend vor, aber wir sollten darin die Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit sehen. Das Licht der adventlichen Hoffnung und das Kommen des Herrn, der alles ans Licht bringen wird, sind eins. Wenn Gott kommt, wird die Welt hell, weil er ans Licht bringt, was im Finstern verborgen ist.
Gott kennt uns viel besser, als wir uns selbst kennen. Er offenbart uns seine Liebe, gerade weil er um die dunklen Seiten eines jeden von uns weiß. Und anders, als es häufig zwischen den Menschen passiert, rechnet Gott uns das Dunkle, das Böse nicht an.
Paulus spricht von einer wahrhaft adventlichen Hoffnung. Wir Menschen werden frei vom Zwang, über uns zu Gericht sitzen zu müssen, vom Zwang der Selbstrechtfertigung. Gott wird unserem Leben das Licht schenken, dessen wir in unseren vielen Finsternissen bedürfen.
Advent gibt Hoffnung, dass doch noch alles gut wird, dass die Verzweiflung ein Ende hat, sich die Dunkelheit der Welt in Helligkeit verwandelt und dass alles Böse, was uns wiederfährt, vom Guten überwunden wird, dass Gewalt und Krieg ein Ende finden, und die unheilvolle Pandemie endlich aufhört. Wer könnte leben ohne diese Hoffnung?
Für Paulus ist unsere adventliche Hoffnung Gewissheit: Der Herr wird kommen, die Finsternis der Welt ihr Ende haben. Gott wird das Verborgene ans Licht bringen. Aber Gottes Gnade und Barmherzigkeit ist größer als seine Gerechtigkeit. Das haben wir in der Person des Kindes in der Krippe erfahren dürfen, das hat sein Opfertod am Kreuz für uns gezeigt. Nicht Verdammnis wird die Menschen verschlingen, sondern einem jeden wird von Gott sein Lob zuteil werden - in Ewigkeit. Amen.
Ihr Pfarrer Rainer Janus