Wort zum 2. Weihnachtsfeiertag

Die Schriftlesung für den zweiten Weihnachtsfeiertag stammt aus dem alten Testament aus dem Buch des Propheten Jesaja und kann einem ganz konkreten geschichtlichen Ereignis zugeordnet werden.

König Ahas, ist in einer politischen Zwickmühle, er wird von den Königen der Nachbarstaaten aufgefordert, sich mit ihnen gegen die feindliche Großmacht Assur zu verbünden. Der Prophet Jesaja warnt Ahas vor diesem Bündnis und fordert ihn auf, sein Vertrauen auch angesichts der schwierigen äußeren Situation auf Gott allein zu setzen.

Von Gott allein Heil und Zukunft zu erwarten. Im Buch des Propheten lesen wir: Und der HERR redete abermals zu Ahas und sprach: Fordere dir ein Zeichen vom HERRN, deinem Gott, es sei drunten in der Tiefe oder droben in der Höhe! Aber Ahas sprach: Ich will's nicht fordern, damit ich den HERRN nicht versuche. Da sprach Jesaja: Wohlan, so hört, ihr vom Hause David: Ist's euch zu wenig, dass ihr Menschen müde macht? Müsst ihr auch meinen Gott müde machen? Darum wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.

Mit einem Kind will Gott ein Zeichen setzen. Wer selbst Kinder hat oder die Geburt von Kindern in der Familie oder im Freundeskreis miterlebt hat, der weiß, welche verändernde Kraft die Geburt eines Kindes mit sich bringt. Schon Monate vorher, zunächst ganz unbemerkt von der Umgebung, gibt es kleine, aber unmissverständliche Zeichen, dass bald nichts mehr sein wird, wie es einmal gewesen ist. Die Zeichen einer Schwangerschaft werden immer deutlicher, für alle sichtbar. Und dann, irgendwann, beginnt das Warten. Wann ist es endlich soweit? Wann kommt das Kind zur Welt? Und wenn der kleine Erdenbürger dann da ist, dann ist nichts mehr, wie es vorher war. Mit einem Kind ist neues Leben entstanden. Es ist unendlich klein und verletzlich. Aber es ist gleichzeitig voller Hoffnung und Zukunft, voll von neuen ungeahnten Möglichkeiten.

Ein Kind verkörpert die Zukunft. Eltern sprechen davon, dass sie durch ihre Kinder Anteil bekommen haben an einer Freude und Dankbarkeit, die sie vorher nie kannten. Wir spüren, dass das Leben weitergeht und nicht bei uns stehenbleibt. Was für mich längst zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, das bringt ein Kind zum Staunen, was ich schon gar nicht mehr bewusst wahrnehme, sehe ich in seinen Augen leuchtend gespiegelt. Und wir spüren auch, wie schwer es ist, loszulassen, wenn unsere Kinder ihre eigenen Wege gehen. Wir spüren, wir schwer es ist, wenn Hass und Streit Familienbande trennen. Wir ahnen, wie schwer es sein mag, wenn wir Abschied nehmen müssten.

Ein Kind als Zeichen. Ein Zeichen für Ahas, den König von Juda, der mitten in einem schwierigen politischen Konflikt steckt. Ahas sieht die Bedrohung, die von zwei Seiten auf ihn zukommt, sie droht ihm alle Hoffnung auf die Zukunft zu nehmen. Wenn ich mir Ahas ansehe, dann ist er mir über die Jahrtausende hinweg unangenehm vertraut: Ahas, der König, ist unzweifelhaft erwachsen, eingespannt in die Anforderungen des Lebens. Er steht unter dem Zwang, sich entscheiden zu müssen. Worauf soll er setzen? Auf die unmissverständlichen Anforderungen, die die Wirklichkeit in Gestalt der möglichen politischen Verbündeten an in stellt? Oder soll er sich an Gott wenden?

Ahas hat den Vorschlag, von Gott ein Zeichen zu fordern, abgelehnt. Er will Gott nicht versuchen. Das soll man ja auch nicht, aber in seinem Fall ist das nichts als eine Ausrede. Er will für sich und die Seinen das vermeintliche Beste aus der Situation machen und dabei verlässt er sich auf seinen gesunden Menschenverstand. Gott aber hat eine andere Perspektive. Er hat die Zukunft im Blick und das Heil aller Menschen.

Der alte König ist müde geworden. Er ist Realist. Er hat es sich abgewöhnt, auf Wunder zu hoffen. Gott spielt keine Rolle mehr in seinem Denken. So kann man müde werden, in der Beziehung zu Gott, aber auch in der Beziehung zu Mitmenschen.

Von dieser großen Müdigkeit habe ich schon viel gesehen, auch bei mir selbst. Die Spuren dieser großen Müdigkeit zeichnen sich in unseren Gesichtern ab, in den angestrengten Gesichtern der Erwachsenen, in den Augen, in die auch viele Weihnachtskerzen keinen Glanz mehr bringen können. Vielleicht spürt das manch einer gerade in dieser Pandemie überschatteten Weihnachtszeit.

Ob er es wünscht oder verschmäht: der König bekommt ein Zeichen: Die junge Frau wird schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen, den wird sie Immanuel nennen.

Das Zeichen, das von Gott kommt, ist ein Kind. Es ist das Zeichen der größten Lebendigkeit, die wir uns vorstellen können, das Zeichen von Erwartung und Leben, Hoffnung und Zukunft, Dankbarkeit und Freude, Geheimnis und Wunder. Dieses Kind hat einen Namen: Immanuel, „Gott steht uns bei“.

Für Ahas, den erwachsenen, müden König heißt das: Du bist nicht alleine, Ahas, Gott kommt zu dir und ist mit dir. Zu dir kommt in diesem Kind alles, was dir fehlt. Erwartung und Leben in deine Hoffnungslosigkeit und tödliche Müdigkeit, Hoffnung wider den Augenschein und Zukunft in einer schwer zu überblickenden Wirklichkeit, Dankbarkeit und Freude anstatt Verbitterung und Resignation, Geheimnis und Wunder gegen alle Alltäglichkeit und Vorhersehbarkeit. Als König ist es deine Aufgabe, nicht an dich selber zu denken, sondern an die kommenden Generationen, um auch ihnen Leben und Heil zu ermöglichen.

Dieses Kind kommt, das Kind ist schon auf verborgene Weise da im Leib seiner Mutter. So verborgen, aber an untrüglichen Zeichen erkennbar, kommt Gott in unsere Welt. So wie zu Ahas kommt Gott mit diesem Kind auch zu uns erwachsenen, oft so müden und einsamen Menschen. Obwohl wir vielleicht von Gott gar nichts mehr erwarten oder noch nie erwartet haben, kommt er zu uns, hinein in den Alltag mit seinen schwierigen Entscheidungen. Unsere Wirklichkeit und Gottes Wirklichkeit sind miteinander verbunden.

Oft verbauen wir uns selbst den Zugang zum Glauben, indem wir uns zum Beispiel mit der Frage müde machen, was es mit der Jungfrau auf sich hat und ob man das glauben kann oder nicht. In der hebräischen Sprache ist eindeutig von einer jungen Frau die Rede und erst die griechische Übersetzung des Alten Testaments hat daraus eine Jungfrau gemacht. Aber an diesem Kind sollen uns nicht die Umstände seiner Geburt interessieren, die Frage, ob seine Mutter eine Jungfrau oder eine junge Frau ist. Das soll uns nicht davon abhalten, das Zeichen Gottes zu sehen. Das Zeichen ist das Kind, dessen Name Immanuel ist, Gott mit uns.

Auch in der Weihnachtsgeschichte des Lukas ist von einem Kind als Zeichen die Rede: „Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen“. An dem Kind in der Krippe ist noch einmal deutlich geworden ist, was es heißt, dass Gott uns beisteht. An Jesus können wir sehen, wie Gott ist und wo wir ihn suchen sollen. Gott kommt als Kind in unsere Welt, klein und verletzlich, geboren in Dürftigkeit in einem entlegenen Winkel der Welt. Eine Geburt, die alle Vorstellungen davon, wie Gott in die Welt kommen könnte, über den Haufen wirft.

Auch das Kind in der Krippe wird erwachsen, aber es wird nie müde. Jesus von Nazareth behält auch als Erwachsener alle Zeichen eines Kindes. Jesus hat andauernd getan, was „man“ nicht tut, er hat Gott einfach Vater genannt, er hat sich mit Prostituierten und Asozialen an einen Tisch gesetzt, er hat die Armen glücklich gepriesen und den Reichen gedroht, er hat Kranke geheilt und Hungrige satt gemacht und damit die Wirklichkeit seiner Welt so verändert, dass sie Gottes Wirklichkeit ähnlicher geworden ist.

Jesus hat alles in Frage gestellt, was wichtig für uns ist, Beziehungen, Besitz, Macht, all die Wirklichkeiten, die unser Leben bestimmen wollen. Er fordert, dass sich unser Leben verändert, er fordert bedingungslose Hingabe, wie ein Kind sie von uns fordert.

Jesus von Nazareth hat sein Leben lang bestehende Ordnungen außer Kraft gesetzt, wie Kinder das mitunter tun. Nichts ist so geblieben wie es vorher war. Auch die eine große Ordnung, der wir uns so bedingungslos unterwerfen, die Ordnung, dass mit dem Tod alles vorbei ist, hat er am Ostermorgen außer Kraft gesetzt.

An Jesus sehen wir, wie Gott uns erwachsene Menschen haben will. Gott will uns nicht als müde Könige, die sich abmühen, ihr Reich zusammenzuhalten, die sich bedingungslos unterwerfen, die tun, was man tut, die nichts in Frage stellen und die Ordnungen, die sie selbst gemacht haben, einhalten. Gott fordert uns auf, nicht müde Erwachsene zu bleiben, sondern wie die Kinder zu werden, die Erwartung und Leben, Hoffnung und Zukunft, Dankbarkeit und Freude, Geheimnis und Wunder noch spüren und weitergeben können. Deswegen kommt er selbst als Kind.

Wer noch keine Kinder hat, wessen Kinder groß sind, wer keine Kinder haben kann, wer vergessen hat, was es heißt, ein Kind zu haben, wer auch mit Kindern müde geworden ist in der Welt der Erwachsenen, der soll in diesen Weihnachtstagen neu entdecken, dass Gott uns Hoffnung und Zukunft schenkt. Amen.

Ihr Pfarrer Rainer Janus