Wort zum 2. Sonntag nach Weihnachten
Im ersten Johannesbrief heißt es: Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn.
Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht.
Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes. (1. Joh 5, 11-13)
Ewiges Leben ist das, was jenseits der Grenze des Todes auf uns wartet. So wird es immer wieder formuliert und so scheint es auch in unserem apostolischen Glaubensbekenntnis gemeint zu sein, wo das ewige Leben der Auferstehung von den Toten folgt.
In unserem Bibelwort aus dem ersten Johannesbrief ist das anders. Unser Bibelwort sagt schlicht und einfach, dass das ewige Leben nicht erst im Jenseits, sondern schon jetzt im Diesseits beginnt. Gott hat uns das ewige Leben bereits gegeben, wir brauchen nicht darauf zu warten und zu hoffen: wir haben es schon! Wer den Sohn hat, der hat das Leben. So heißt es kurz und bündig.
Die Gegenwart ist die entscheidende Zeit für unser Leben. Heute, jetzt, entscheidet sich, ob unser Leben ein gelingendes oder ein misslingendes Leben ist. So sagt es auch Jesus selbst zu Beginn seiner ersten Predigt in Galiläa: Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!
Es gehört zu unseren menschlichen Eigenarten, dass wir Entscheidungen gerne verdrängen und in die Zukunft verschieben, am liebsten auf den St. Nimmerleinstag. Aber die Zukunft hat schon begonnen. Und unser Bibelwort sagt klar: Wer den Sohn hat, der hat das Leben; aber wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat auch das Leben nicht.
Es ist in dieser Welt über alle Grenzen der Völker und Religionen hinweg üblich geworden, die Jahre nach Christi Geburt zu zählen. Das merken wir oft gar nicht mehr und das ist uns oft gar nicht bewusst. Aber dahinter steht die Glaubensüberzeugung, dass Gott mit dieser Geburt des Sohnes der Welt eine neue Zukunft geschenkt hat. Gottes Zeitansage hören wir aus dem Mund des Engels, der die Weihnachtsbotschaft verkündigt: Euch ist heute der Heiland geboren. Und wir nehmen diese Weihnachtsbotschaft auf, wenn wir singen: Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis. Der Cherub steht nicht mehr davor. Gott sei Lob, Ehr und Preis. Die neue Zeit, die mit dem Kind in der Krippe anbricht, wird auch als Zeit der Gnade bezeichnet und der Apostel Paulus bestätigt diese Zeitansage in seinem zweiten Brief an die Korinther mit einem Ausruf voller Freude: Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils (2. Kor. 6, 2).
Diese Zeitansage Gottes, die wir an so vielen verschiedenen Stellen des neuen Testaments immer wieder finden, steht allerdings in einer gewissen Spannung zur Realität dieser Welt, wie wir sie wahrnehmen. Wir sehen so viel Leid und so viel Schmerz. Aber vielleicht liegt das auch ein wenig daran, dass Unheil so oft Schlagzeilen macht und in den Medien in unguter Weise breit ausgetreten wird. Heil und Heilung aber vollziehen sich oft in der Stille. Was da geschieht ist oft nicht so spektakulär und dringt nicht so sehr ins Licht der Öffentlichkeit.
Das zurückliegende Jahr 2021 war wieder ein Jahr voll negativer Schlagzeilen. Aber auch im zurückliegenden Jahr haben Menschen wieder mit Spenden geholfen, Not zu lindern, haben Menschen Zeit geopfert und sich ehrenamtlich für ihre Mitmenschen engagiert. Liebe hat in aller Stille manche Wunden geheilt und neue Hoffnung gebracht.
Ewiges Leben ist Leben, das bleibt und Bestand hat über den Tod hinaus. Und diese Beständigkeit verändert die Qualität dieses Lebens. Dabei geht es sicherlich auch um die Vorfreude, dereinst die Herrlichkeit Gottes zu schauen. Aber es geht ganz wesentlich und ganz entscheidend darum, das Leben hier und jetzt im Alltag zu gestalten und zu genießen.
Jesus hatte Freude an den kleinen Dingen am Weg – so berichten es die Evangelien. Die Blumen auf dem Feld, die Vögel unter dem Himmel, Bäume, Äcker und Quellen werden ihm zu Gleichnissen für das Reich Gottes. Jesus hatte auch Freude an den Menschen, die er traf, und die ihn begleiteten. Er segnete Kinder, er aß und trank mit einfachen Männern und Frauen, er ließ sich von dem betrügerischen Zöllner Zachäus zum Essen einladen und ermutigte ihn, sein Leben neu zu beginnen. „Wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück“ (Lukas 19, 8 + 9), sagt Zachäus, und Jesus antwortet ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren. Ich denke, der Zöllner Zachäus ist ein Beispiel dafür, dass da, wo Menschen Jesus aufnehmen, wo sie ihn in das Haus ihres Lebens einladen, wo sie sich von ihm verändern lassen, „ewiges Leben“ schon in der Gegenwart beginnt.
Aber auch die dunklen Stunden unseres Lebens zerrinnen nicht in der Leere eines gottfernen Lebens und in sinnloser Gottlosigkeit. Der Apostel Paulus zählt auf, was er alles in der „Zeit der Gnade“ an bitteren Erfahrungen machen musste: Er schreibt im Brief an die Korinther: In allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Verfolgungen, in Mühen, im Wachen, im Fasten (2. Kor. 6, 4f).
Für uns haben die dunklen Stunden andere Namen als für den Apostel: es sind Zeiten der Krankheit, der Sorgen um Angehörige und der Trauer um liebe Menschen. Es sind wirtschaftliche und politische Sorgen, Zukunftsängste jeder Art. In den Fußspuren Jesu können wir unseren Lebensweg gerade auch durch dunkle Täler gehen in der Gewissheit, dass unser Gott aktuell bei uns ist und diesen Weg mit uns geht, wie es im Psalm vom guten Hirten heißt: Ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir (Psalm 23, 4).
Und das ist das wunderbare und immer wieder unbegreifliche an diesem Gott, dass er Weihnachten nicht in diese Welt kommt, um uns einen netten Besuch abzustatten, und ein paar freundliche Worte der Orientierung und Wegweisung zu hinterlassen. Nein, in Jesus Christus schenkt er sich selber - ein für alle Mal - allen, die ihn brauchen und suchen. In Jesus Christus ist Gott zu haben, und mit dem Schöpfer allen Lebens das zerbrechliche und stets gefährdete Leben in dauerhafter Beständigkeit. Und was nicht zu verstehen ist, ist dennoch wahr, nicht einmal der Tod kann diesem Leben etwas anhaben. Das Leben, das Gott schenkt hat Bestand über den Tod hinaus in Ewigkeit.
Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. Damit kommt auch die andere Seite der christlichen Botschaft zur Sprache: weil „ewiges Leben“ nur mit Jesu Christi zu finden ist, kann man es verlieren, wenn man mit Jesus nichts mehr zu tun haben will.
Von außen können wir nicht in die Menschen hineinschauen. Aber wir ahnen manches Mal, dass das Leben von Menschen sehr an der Oberfläche bleibt. Der Mensch strebt nach Macht, nach Reichtum, nach Vergnügen und Bequemlichkeit. Man sucht sein Glück im Rausch und verliert bei allem - zunächst vielleicht ganz unbemerkt – den Sinn und das Ziel für sein Leben.
Manchmal gibt man dieser Gottvergessenheit des modernen Menschen einen vornehmen Namen und beklagt sie als „Werteverlust“. Gemeint ist eine geistliche Situation, in welcher der Mensch den Glauben, die Hoffnung und die Liebe im Geiste Jesu verloren hat. Oft ist es so, dass dem Menschen dann nichts mehr heilig ist. Er verlacht die Regeln des menschlichen Zusammenlebens. Der von Gott abgefallene Mensch beurteilt und richtet alles, aber er will von niemand gerichtet werden. Er scheut sich davor, Verantwortung für andere zu übernehmen, weil er nur für sich selbst sorgen will. Egoismus tritt an die Stelle engagierter Nächstenliebe.
Wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. Auch wenn die Bibel an dieser Stelle eine klare Grenze zieht, so spricht sie doch kein Urteil. Es geht darum, die Menschen zum Glauben einzuladen, ihnen vor Augen zu führen, welch ein Reichtum ihnen verloren geht, welche Chance sie in den Wind schlagen. Sie sollen wissen, dass sie das Leben in seiner ganzen Tiefe und Fülle erfahren, wenn sie Jesus einladen und seine rettende Hand ergreifen.
Er ist zu haben, weil er sich uns geschenkt hat. Das ist das Kennzeichen der Gnadenzeit, in der wir leben: Wer nach seiner Hand greift, der hat das Leben. Jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist die Zeit des Heils. Was morgen ist, das wissen wir nicht.
Ich möchte schließen mit der Erinnerung an ein Bibelwort, das in goldenen Lettern die Kanzel unserer Kirche ziert, und das sozusagen über allen unseren Predigten steht. Also - wir würden heute sagen so sehr - hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab - dass er ihn uns geschenkt hat - damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Amen.
Ihr Pfarrer Rainer Janus