Toten- und Ewigkeitssonntag
Im Buch des Propheten Jesaja lesen wir:
Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.
Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich erschaffe Jerusalem zur Wonne und sein Volk zur Freude, und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.
Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen. Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. Wolf und Lamm sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR. (Jesaja 65,17–19.23–25)
Wir sind miteinander am Ende des Kirchenjahres angekommen und blicken zurück auf den Lebensweg des vergangenen Jahres und auf das, was er uns gebracht hat. Für manch einen war dieses Jahr verbunden mit dem Abschied von einem lieben Menschen. Hoffnungen mussten begraben werden. Da bleibt ein Platz leer, den nur dieser eine Mensch hat ausfüllen können. Erinnerungen an gemeinsames Glück werden wachgerufen, aber auch Versäumnisse kommen uns in den Sinn. Wir spüren und empfinden: Das Leben hat wieder etwas von seiner Fülle verloren. Enttäuschung und Leere sind eingekehrt. Dieses Abschiednehmen gehört zur Wirklichkeit unseres Lebens. In unbeschwerten Tagen denken wir nicht daran, aber die Nähe des Todes reißt uns aus der gewohnten Bahn.
Wer einen lieben Menschen verloren hat, der kennt auch die Gedanken, die Gefühle und die ganze Verwirrung, die damit verbunden sind. Und gerade in dieser Situation ist mir ein Wort wichtig aus unserem heutigen Bibelwort aus dem Buch des Propheten Jesaja: Gott verspricht uns: Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. Das heißt doch: Gott, der Herr, hat ein Wort für uns, auch und gerade dann, wenn wir im Augenblick zu müde oder zu mutlos sind, zu ihm zu rufen und zu beten. Oder wenn uns das Vertrauen zu ihm verloren gegangen ist. Gott lässt uns auf unserem Weg nicht allein. Auch wenn wir ihn vergessen: Er hat uns nicht vergessen. Er geht ein auf die Fragen unserer Gegenwart. Und er begleitet uns auch in den ausweglosen Situationen unseres Lebens.
Unser Bibelwort stammt aus einer Zeit, in der das jüdische Volk die Nähe Gottes in ganz besonderer Weise hatte erleben dürfen. Jerusalem und der Tempel waren zerstört worden. Die Bewohner erlitten das Schicksal der Kriegsgefangenschaft im fernen Babylonien: 50 Jahre Buße und Strafe für die Abkehr von Gott. Aber wie durch ein Wunder wurden ihre Gebete erhört. Die Rückkehr in die Heimat glich dem Auszug aus Ägypten. Nach 50 Jahren erbarmte sich Gott über sein Volk. Häuser und Stadtmauern wurden wieder aufgebaut. Auch der Tempel sollte wiederhergestellt werden. Und mit diesem neuen Jerusalem und diesem neuen Tempel waren begreiflicherweise große Hoffnungen verbunden. Gottes Handeln wurde als Anfang verstanden: Der Beginn eines neuen Zeitalters.
Aber schon bald war die Euphorie des Anfangs erloschen. Der Alltag mit seinen Mühen und Lasten, aber auch Krankheit, Leid und Tod brachte die Menschen auf den Boden der harten Lebenswirklichkeit zurück. So groß die Hoffnung gewesen war, so groß war auch die Enttäuschung. Die Erwartungen der Heimkehrer waren nicht in Erfüllung gegangen.
In dieser Situation der Enttäuschung und Unzufriedenheit hat der Prophet ein Wort Gottes auszurichten, ungefragt und doch zur rechten Zeit, ein Wort des Trostes: Er spricht von unserer Zukunft bei Gott, die alle unsere Erwartungen übertreffen wird. Ja, das, was wir uns Menschen so erhoffen, ein paar Jahre ohne Krankheit, ohne Not, das wird vor dem, was Gott uns schenken will plötzlich bescheiden und klein: Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. Alles, was uns hier belastet, alles, was die alte Schöpfung und ihre Geschöpfe jetzt peinigt und zerstört, das wird es in Gottes neuer Schöpfung dereinst nicht mehr geben. Diese neue Schöpfung mündet in ein Friedensreich ohne Bosheit und Schaden. Und dieser Frieden umfasst die Geschöpfe untereinander genauso, wie die Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf. Wolf und Lamm sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.
Mit diesen wunderbaren Bildern einer Zukunft bei Gott will uns der Prophet herausholen aus unseren enttäuschten Hoffnungen. Er will uns befreien von dem, was unsere Herzen belastet, zu einem Leben, in das Freude über Gott einkehrt. Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich erschaffe Jerusalem zur Wonne und sein Volk zur Freude. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.
Auch wir leben heute in einer besonderen Lebenssituation, die uns vor gewaltige Herausforderungen stellt. Die gemeinsame Frage von damals und heute lautet: Was passiert mit unserem Glauben, wenn unsere Lebenssituation anders wird, als wir das erwarten? Wie tragfähig ist unser Glaube, wenn unser Leben auf Widerstände stößt?
Was der Glaube nicht kann: er kann uns nicht vor Enttäuschungen oder Problemsituationen bewahren. Wir leben in einer Welt, in der Glück und Unglück Platz haben, in der einer krank wird und der andere gesund bleibt, in der einer viel zu früh herausgerissen wird und der andere alt und lebenssatt heimgerufen wird. Aber der Glaube kann uns helfen, uns zurechtzufinden in dieser seltsamen Welt. Er kann uns daran erinnern, dass Gottes Heilshandeln bereits begonnen hat. Ich bin sicher, dass vieles in unserem Leben dann einen anderen Stellenwert bekommt.
Im Glauben finden wir zu uns selbst als Gottes gewollte und geliebte Kinder, die in dieser vom Tod gezeichneten Welt dennoch eine Zukunft haben. Ich bin davon überzeugt, dass ein Leben in der Vorfreude auf Gottes Zukunft ein sehr viel intensiveres und letztlich erfüllteres Leben ist. Ein Leben gleichsam als Protest gegen den Tod und alles, was Leben zerstört und beeinträchtigt.
Die Hoffnungsbilder des Propheten stärken unseren Glauben. Ein neuer Himmel, eine neue Erde und ein absolutes Friedensreich stehen uns bevor. Denn der Glaube sagt uns: unser Lebensweg endet nicht am Grab. Der lebendige Gott nimmt uns an der Hand und führt uns durch den Tod hindurch zum ewigen Leben.
Es mag nun einer einwenden und sagen: Das ist alles so irdisch gedacht, der menschlichen Vorstellungskraft entsprungen. Der Prophet würde antworten und sagen: Ja, meine Hoffnungsbilder sind Bilder für unsere menschliche Vorstellungskraft, aber freut euch: Unsere Zukunft bei Gott wird alle unsere menschliche Vorstellungskraft bei weitem übertreffen – in Ewigkeit. Amen
Ihr Pfarrer Rainer Janus