Geistliches Wort zum Sonntag Judika

Kommt jetzt die dritte Welle? Droht ein neuer Lockdown?

Werden wir Ostern wieder zuhause verbringen müssen?

Seit mehr als einem Jahr leben wir nun mit den Auswirkungen der Pandemie und erleben, wie in wellenförmigen Bewegungen die Inzidenzzahlen steigen und sinken und mit ihnen die Stimmung und die Anspannung im Land.

Bei mir, bei meinen Mitmenschen, bei den Verantwortlichen in der Politik und im Gesundheitswesen liegen die Nerven zunehmend blank.

Konnten wir uns vor einem Jahr noch über Balkongesängen, Rücksichtnahme und Zeichen der fürsorgenden Solidarität erfreuen, haben jetzt die Gerichte Hochkonjunktur.

Eine Klagewelle von Einsprüchen überschwemmt die Schreibtische von Richtern. Klagen gegen verordnete Maßnahmen, die verbürgte persönliche Rechte einschränken. Im Eilverfahren werden Demos gestattet oder verboten, Läden geöffnet oder geschlossen, Verstöße geahndet oder Freiheiten gewährt. Und bei der Verteilung des knappen Impfstoffs und der Beschaffung und Zugänglichkeit von Schnelltests wird die Frage nach Gerechtigkeit immer lauter.

„Verhilf mir zu meinem Recht, Gott“ so übersetzt die neue BasisBibel den Anfang des 43. Psalms, der der Wochenpsalm für diesen Sonntag ist und von dem sich der Name Judika ableitet.

„Verhilf mir zu meinem Recht, Gott!“ Nicht nur in Coronazeiten ist das die Klage und manchmal der verzweifelte Schrei von Menschen, denen Unrecht geschieht oder die sich ins Unrecht gesetzt sehen. Menschen, die nirgends Gehör finden und Feindseligkeiten ausgesetzt sind. Im globalen Wirtschaften, in Arbeitsverhältnissen, in Schulen und Familien, überall gibt es Konflikte und Interessengegensätze. Und es gibt Intrigen, Verletzungen, Traumatisierungen. Das alles geht nicht spurlos an uns vorbei und das uns vorenthaltene Recht ist ein großes Thema. „Stell dich auf meine Seite, Gott und schaffe du mir Recht“.  So lässt sich in unzähligen Variationen einstimmen in die Klage des Psalmisten.

„Richte mich“, so lassen sich diese ersten Worte des Psalms auch lesen. „Bring mich wieder zurecht“, damit mich Wut und Trauer nicht zerfressen, „richte mich auf, gib mir meine Würde zurück“, damit wir einander wieder begegnen können und wieder zusammenkommen.

Gottes Richten ist ausgleichende Gerechtigkeit für alle. Sie zielt auf die Wiederherstellung der Gemeinschaft und des Schalom.

Wenn ich meine Klagen und Anklagen, meine Wut und meine Kränkungen so wie der Psalmist vor Gott ausbreite und ihm das alles übergebe, mich, und die mit denen ich im Streit liege, dann bekomme ich eine neue Freiheit. Ich muss mir nicht selbst mein Recht verschaffen, ich überlasse es Gott und seinem Gericht. Er wird mir Recht verschaffen, und auch denen, von denen ich meine, dass sie mir Unrecht tun.

Dagmar Zobel

Prälatin des Kirchenkreises Südbaden