Badische Gedanken zum Unionsjubiläum

200 Jahre Union zur Evangelischen Kirche in Baden

Viele von uns kennen das gute Gefühl ein Badener zu sein. Und manche haben das Glück sogenannte Altbadener zu sein. Ihre Wiege stand in badischen Landen. Sie haben die badische Mentalität mit der Muttermilch eingesogen und fühlen sich in ihrer Heimat einfach wohl.

Andere sind Neubadener. Sie sind hierhergekommen, haben sich mit den Eigenarten der Menschen hier vertraut gemacht und haben hier ihre neue Heimat gefunden.

Das gute Gefühl ein Badener zu sein, war erst mit der territorialen Vereinigung 1803 und der Erhebung zum Großherzogtum 1806 entstanden. Es war also noch jung als die beiden protestantischen Kirchen ihre Union begründet haben. Und dennoch spielt diese badische Mentalität eine wichtige Rolle bei der Vereinigung dieser beiden so gegensätzlichen Konfessionen, den Lutheranern und den Reformierten.

Der trennende Unterschied geht zurück auf den großen Abendmahlsstreit zwischen Martin Luther und Ulrich Zwingli. Die beiden Reformatoren waren unterschiedlicher Meinung, was die Gegenwart Christi beim Abendmahl betrifft. Für Luther war klar, dass Christi Gegenwart etwas mit den Elementen Brot und Wein zu tun haben muss. Für Zwingli hatten Brot und Wein nur symbolischen Charakter und als Zeichen einer geistlichen Gegenwart zu sehen.

Im Grunde war diese Streitfrage nicht neu. Schon Jahrhunderte zuvor hatten sich kluge Köpfe darüber Gedanken gemacht und waren zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Immer wieder neu erhitzte diese Frage die Gemüter, vor allem auch deshalb, weil sich daraus Konsequenzen für die Feier des Abendmahls ergeben. Was mache ich mit dem Brot und dem Wein, wenn etwas übrig bleibt nach der Feier im Gottesdienst. Der Katholik sagt: Nach der Wandlung sind und bleiben Brot und Wein Leib und Blut Christi. Hostien werden ausgesetzt und angebetet. Der Reformierte sagt: Brot und Wein zeigen die Gegenwart dessen, der uns durch seinen Leib und sein Blut erlöst hat. Was anderes sollte mit Brot ein Wein geschehen, als dass sie alsbald gegessen und getrunken werden? Der Lutheraner sagt: Ja, im Vollzug des Abendmahls nehmen wir die Elemente als Leib und Blut, aber vorher und nachher handelt es sich um Brot und Wein. Der Wein wird ausgetrunken. Das Brot wird aufgegessen.

Bleibt die spannende Frage: Was sagt der Badener? Essen und Trinken ist für den Badener keine Frage. Da hält der Badener gerne mit. Aber die Existenz zweier getrennter protestantischer Kirchen auf badischem Boden ist für die badische Seele schlichtweg nicht hinnehmbar. Im Grunde seines Herzens wünscht sich der Badener bis auf den heutigen Tag die sichtbare Einheit aller Christen – und das selbst dann, wenn im Glauben keine vollständige Übereinstimmung in allen Punkten besteht.

Aber was hatten die Väter vor 200 Jahren für eine Wahl? Es gab das Modell der Verwaltungsunion. Und genaugenommen wurden Lutheraner und Reformierte bereits seit 1807 in Karlsruhe von der Evangelischen Oberkirchenbehörde gemeinsam verwaltet. Aber Kirchen und Gemeinden blieben getrennt. Besonders in der Kurpfalz gab es viele Ortschaften mit zwei evangelischen Kirchen. Jeder ging in seine Kirche und feierte sein Abendmahl. Der Missstand wurde nicht behoben. Die Alternative zur Verwaltungsunion war die Bekenntnisunion. Aber das hieß, dass einer der beiden Partner die Ansichten des anderen akzeptieren und gutheißen musste – und das geschah in der Regel nur auf Druck der weltlichen Obrigkeit und steht im Widerspruch zur schlichten badischen Sitte.

Der einzige Ausweg aus dem Dilemma führte über die Einberufung einer paritätisch besetzten Synode. Und 1821 verabschiedete diese Synode die Unionsurkunde als Geburtsurkunde unserer Evangelischen Landeskirche in Baden, in der neben dem Augsburger Bekenntnis der Kleine Katechismus Luthers und der reformierte Heidelberger Katechismus gleichberechtigt genannt werden. Was dem menschlichen Verstand und dem kritischen Denken der Theologen unvereinbar erscheint, das kann im Geist der Liebe und der Versöhnung nebeneinander bestehen. Mit Brot und Wein empfangen wir den Leib und das Blut Christi, heißt es in der Unionsurkunde, und gleichzeitig sind Brot und Wein beim Abendmahl nichts anderes als sichtbare Zeichen, welche auch in dem Genusse desselben Brot und Wein bleiben.

Abgestimmt wurde darüber übrigens nicht. Der Versammlungsleiter erklärte, dass eine solche Glaubensfrage wohl nicht durch eine Abstimmung entschieden werden könne. Es gäbe jedoch die Möglichkeit Bedenken vorzutragen und Fragen zu stellen. Es trat eine feierliche Stille ein. Nach einer gewissen Zeit des Schweigens erklärte der Versammlungsleiter, er glaube zu erkennen, dass die Union ohne Widersprüche angenommen sei. So viel Weisheit gibt es nur in Baden.

Wenn der große Versöhner unter den Reformatoren, Philipp Melanchthon aus Bretten, vom Himmel herunter auf seine Heimat geschaut hat, dann wird er sich gefreut haben über seine Landsleute, weil sie im Geist der Liebe etwas Neues entdeckt haben, dass nämlich auch im Unvereinbaren eine tiefe Wahrheit stecken kann – und das Geheimnis der Offenbarung Gottes auch sein Geheimnis bleiben darf. Wunderfitzig darf man sein in Baden, aber eben nicht zu wunderfitzig.

Dann schlägt der Badener seine Bibel auf und liest bei Matthäus 18, 20: Jesus Christus spricht: Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.

Da steht es schwarz auf weiß, denkt der Badener. Wie das gehen soll, das sagt der Herr Jesus uns nicht. Aber die Hauptsache ist doch, dass er mitten unter uns ist auf dem Weg durch die Zeiten bis in Ewigkeit. Er will, dass wir den Kontakt zu ihm nicht verlieren, ihm treu bleiben im Gebet und im Hören auf sein Wort und seinen Willen. Und er will uns treu bleiben mit seiner Liebe, will seinen Segen nicht abwenden von uns und allen unseren Lieben.

Wenn’s nicht so wäre, denkt der Badener, dann wäre das sicher schlimm für unser badisches Ländle. Amen.

Ihr Pfarrer Rainer Janus

Den Wortlaut der badischen Unionsurkunde vom 26. Juli 1821 finden Sie hier als PDF-Datei