Altjahresabend – Jahreslosung 2022
„Heute ist morgen schon gestern.“ Niemals ist die Strömung der Zeit so intensiv spürbar wie an diesem letzten Abend des Jahres.
Wenn es nur ein Gefühl wäre, das in uns aufsteigt, wenn wir zurückblicken auf das, was uns im zurückliegenden Jahr begleitet hat und auf die Prognosen, die in diesen Tagen aufgestellt werden.
Es sind verschiedene, ambivalente Gefühle, die uns bewegen. Ein jeder ist seinen ganz individuellen Weg gegangen – und ein jeder hat seine ganz individuellen Sorgen und Sehnsüchte im Blick auf das, was uns 2022 begegnen wird.
„Heute ist morgen schon gestern.“ Die Zeit flieht. Aber am letzten Abend des Jahres tut es gut, mitten im Flug der Zeit innezuhalten, die Gedanken und Gefühle zu Ruhe kommen zu lassen und sich zu konzentrieren auf das, was uns die Kraft und die Zuversicht schenkt, unseren Weg weiterzugehen, mit Kraft und Freude, Humor und Lebensmut, behütet und getröstet wunderbar.
Im christlichen Glauben ist es Gottes Wort, das uns begleitet, tröstet, Mut macht, Kraft schenkt und neue Perspektiven eröffnet. Und immer wieder sprechen Menschen davon, dass sie durch Gottes Wort überhaupt erst einen Weg, eine Orientierung für ihr Leben gefunden haben.
Wir hören heute auf die Jahreslosung, die uns auf dem Weg in und durch das neue Jahr 2022 hindurch begleiten soll. Sie steht im Evangelium nach Johannes und sie lautet: Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. (Joh 6,37)
Diese Jahreslosungen sind Bibelworte, die von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für das Bibellesen immer vier Jahre im Voraus ausgewählt und veröffentlicht werden. Aber ganz oft ist es so, dass sie ganz exakt in die Zeit hinein passen. Vor vier Jahren hat noch niemand von Corona gesprochen. Niemand konnte wissen, wie sehr so ein Virus unser Leben, unsere Gesellschaft verändern würde – und wie viele Fragen aufgeworfen, aber nicht beantwortet werden. Niemand konnte ahnen, dass wir gerade jetzt ein Wort brauchen, das die Kraft hat, uns trotz Krankheit und Tod zu trösten und Mut zu machen, unseren Weg weiterzugehen und unsere Hoffnung zu bewahren.
Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. Die Einladung Jesu ist mit einer Verheißung verbunden. Und diese Verheißung ist in der grenzenlosen Liebe Gottes begründet. Er ist wie der gütige Vater im Gleichnis Jesu, der dem verlorenen Sohn mit offenen Armen entgegeneilt und nicht zögert, ihn wieder als sein Kind an und ernst zu nehmen.
Klarer Fall, wird vielleicht manch einer denken: Gottes Haus hat generell offene Türen. Jeder hat Zutritt. Jeder wird mit offenen Armen aufgenommen. Es gibt kein „Zu spät“, es gibt kein Nein.
Aber so einfach das wäre, so falsch wäre es auch. Denn beispielsweise spricht Jesus im Blick auf das Himmelreich von 10 Jungfrauen, aber nur die Klugen kommen rechtzeitig zum Fest. Die, die zu dumm waren, einen Vorrat an Lampenöl mitzunehmen, stehen vor verschlossenen Türen. Der Bräutigam weist sie schroff ab mit den Worten: Ich kenne euch nicht.
Der alte Faschingsschlager von Jupp Schmitz wird 2022 70 Jahre alt. 1952 hat er gesungen: Wir kommen alle, alle, alle in den Himmel, weil wir so brav sind. Aber das ist eben ein Faschingsschlager, der am Stammtisch seine Stimmigkeit hat. Mit dem Wort Gottes stimmt dieser Wunsch nach einer Allversöhnung leider nicht überein.
In seiner Bergpredigt warnt Jesus die Zuhörer vor solchen Allversöhnungsgedanken, wenn er sagt: Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen Dämonen ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Machttaten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch nie gekannt; weicht von mir, die ihr das Gesetz übertretet! (Mt. 7, 21-23)
Und wie so oft im Umgang mit der Bibel, ist es wichtig, die Jahreslosung ganz gründlich zu lesen: Jesus sagt: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. Es geht nicht darum, dass alle, alle in den Himmel kommen. Es geht darum, dass die nicht abgewiesen werden, die den Weg zu Jesus Christus finden. Im Johannesevangelium wird das immer wieder durch die „Ich bin“ Worte deutlich gemacht: Jesus sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater, denn durch mich.
Jesus bringt mit seiner Predigt Gott den Menschen näher. Und zugleich ist er als Person der Mittler zu Gott. Er ist der gute Hirte, der begleitet und beschützt. Er ist Brot und Wasser des Lebens, das Durst und Hunger stillt. Er ist der wahre Weinstock, zu dem unsere Verbindung nicht abreißen darf. Er ist das Licht der Welt, das auch unseren Verstand erleuchtet. Er ist die Tür zur Auferstehung und zum Leben.
Um zu verstehen, was es heißt, zu Jesus zu kommen, erinnern wir uns noch einmal an das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Dieser Sohn geht ja zunächst einmal seine eigenen Wege. Und erst als er ganz tief im Schlamassel steckt, erinnert er sich wieder an sein Vaterhaus. Er sieht, dass er etwas ganz entscheidend falsch gemacht hat, als er sich vom Vater losgesagt hat. Und er wählt den Weg der Umkehr, den Heimweg, der ihm sicherlich nicht leicht gefallen ist.
Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. Vielleicht ist das die wichtigste Aufgabe im kommenden Jahr, dass wir für uns den Weg der Umkehr finden, den Weg, der uns zu Jesus Christus führt, dass wir von Neuem Kraft und Trost finden im Gebet und im Hören auf sein Wort.
Der Altjahrsabend ist auch die Zeit der guten Vorsätze, der Planungen und Ziele. Und manchmal wird darüber auch gelacht oder gespöttelt. Der Weg zur Hölle sei mit guten Vorsätzen gepflastert, heißt es im Sprichwort. Ich finde: Es ist gut und hilfreich, wenn Menschen sich vornehmen, Gutes zu tun für sich selbst und andere. Auch dann, wenn wir feststellen, dass wir hinter unseren guten Vorsätzen immer wieder zurückbleiben.
Wichtig ist, dass wir über allen Planungen und Zielen, das große Ziel unseres Lebens nicht vergessen, und, dass wir am Ende den Weg ins Vaterhaus finden, wo wir nicht abgewiesen, sondern mit offen Armen empfangen werden, wo Gott selbst unser Gastgeber ist, und wo es dann heißt: Du bereitest Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.
Das ist unsere Hoffnung gestern, heute und morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag. Amen.
Ihr Pfarrer Rainer Janus