Wort zum Sonntag – 29. November 2020
Im Buch des Propheten Sacharja heißt es:
Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.
Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde. (Sacharja 9, 9-10)
Tochter Zion freue dich. Wir denken bei diesen Worten alle an den Einzug Jesu in Jerusalem. Die Menschen damals feierten Jesus von Nazareth als den von Gott gesandten König: Hosianna, dem, der kommt im Namen des Herrn.
Aber die Worte, die den Friedenskönig ankündigen sind rund ein halbes Jahrtausend älter. Der Name des Propheten Sacharja lautet übersetzt: Gott erinnert sich, Gott vergisst dich nicht. Dieser Sacharja lebte in einer Zeit, die von großen Hoffnungen und noch größeren Enttäuschungen geprägt war.
Nach der zweifachen Zerstörung der Stadt Jerusalems und der Verwüstung des Landes Juda waren die Einwohner deportiert worden in das Land des Feindes. So sollten ihre Kultur und ihre Religion sich auflösen im Schmelztiegel der Besiegten. Aber Gott hatte sein Volk nicht vergessen. Das Gottesvolk erlebte einen zweiten Exodus. Die Befreiung aus der heidnischen Gewalt, der Rückweg ins verheißene Land war mit übergroßen Hoffnungen auf einen glanzvollen Neubeginn verbunden. Der Tempel sollte wieder aufgebaut werden. Frieden und Gerechtigkeit sollten herrschen, zum Wohle aller. Wie manche unter uns heute hofften sie auf eine neue Wirklichkeit, eine Wende zum Guten.
Die Trümmerfrauen aus Berlin, Dresden und Pforzheim könnten davon berichten, wie mühsam es ist, aus alten verbrannten Steinen neue Häuser zu bauen. Wie sehr die Hände schmerzen und der Rücken – und wie wenig Solidarität unter den Menschen herrscht. Wie jeder nach seinem Vorteil giert. Wie jeder versucht sein eigenes Schäflein ins Trockene zu bringen. Nichts hatte sich geändert oder gebessert. Die Menschen waren die alten geblieben.
Sie hausten weiter in den Trümmern und hofften auf ein Wirtschaftswunder, aber da war nichts vom Glanz der erträumten Zukunft. Und je größer die Hoffnung, desto größer die Enttäuschung. Resignation machte sich bereit.
Am 2. November war von vier Wochen Lockdown die Rede. Solange sollte der Verzicht auf Kontakte dauern. Dann wird alles wieder gut. Jetzt sind wir beim 20. Dezember und hoffen auf eine Unterbrechung für die Feiertage. Hoffnungen, die enttäuscht werden, Freude, die nicht aufkommen will, das sind auch Themen unserer Zeit. Wieviel Geduld müssen wir noch aufbringen mit dieser heimtückischen Krankheit und was werden die Menschen aus der Pandemie lernen für ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder?
Zu Menschen, die sich mit ihren Enttäuschungen zu arrangieren beginnen, spricht Sacharja – Gott vergisst dich nicht: Fang schon einmal an, dich zu freuen und zu jauchzen, denn Gott wird einen König senden, der anders ist als die anderen, einen Friedenskönig, ein Gerechter und ein Helfer.
Jerusalem hat es erfahren und die Tochter Zion weiß Bescheid: Könige kommen und gehen. Das ist der Lauf der Welt. Aber Könige waren selten ein Grund zur Freude und Anlass zum Jauchzen. Die modernen Könige heißen Frau Bundeskanzlerin und Mister President. Eigentlich sollten sie alle miteinander Gerechtigkeit wahren und für das Wohlbefinden aller sorgen. Aber in Wirklichkeit geht es ihnen vor allen anderen Dingen um den Erhalt und die Ausweitung der eigenen Macht.
Deutschland hatte einen Führer. Er wurde gefeiert und beklatscht. Aber er hat sein Land in den Krieg geführt. Er hat Tod und Vernichtung und Ausrottung befohlen. Er hat unsägliches Leid über unzählige Menschen gebracht. Dieser Verbrecher hatte mancherlei Vorbilder in der Geschichte der Menschheit und er hat zahlreiche Nachahmer gefunden, Gesinnungsgenossen, die nichts Gutes im Schilde führen.
Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, dass ein neuer König einziehen kann, einer der das bringt, was nötig ist, den Frieden Gottes, der mehr ist als das eiserne Schweigen der Waffen. Er wird kommen, damit alle Geschöpfe Gottes gleichermaßen zu ihrem Recht kommen. Es gibt nämlich ein Recht, das jedem Leben innewohnt und das jedem Leben seine unveräußerliche Würde schenkt.
Im alten Israel wurden die Könige nicht gekrönt, sondern gesalbt. Deshalb ist in der Bibel immer wieder vom Gesalbten die Rede, auf Hebräisch Messias und auf Griechisch Christos. Im Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem wird mit dem Esel als Reittier ganz bewusst das alte Wort des Propheten Sacharja aufgenommen. Gott vergisst dich nicht. Freue dich Tochter Jerusalem, Tochter Zion jauchze, denn Gott hat der Welt seinen Sohn gesandt, den, der sich selbst als Menschensohn und nicht als Gottessohn bezeichnet hat, wie so viele andere. Und der Menschensohn ist nicht in die Welt gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene - und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.
Die Mächtigen zu Jerusalem haben den, der als Gerechter und Helfer zu ihnen kam, als Bedrohung wahrgenommen. Aber nur der Ungerechte und der Selbstgerechte fürchtet die Gerechtigkeit. Nur der Mächtige hat Angst vor der Ohnmacht der Liebe. Wieder und wieder haben sie sich in ihrer Scheinheiligkeit verschlossen vor der Wahrheit und dem Willen Gottes. Sie hätten ihn ernst nehmen können, hätten mit ihm zusammen am Friedenreich Gottes weiterbauen können. Sie haben ihn kreuzigen lassen als ihren König. So stand es auf seinem Marterpfahl: INRI: Jesus von Nazareth, der König der Juden.
Wir brauchen vor dem keine Angst zu haben, der in den Tod gegangen ist, damit wir leben. Im Gegenteil: Wir können mit Jerusalem uns freuen und mit Zion jauchzen. Für uns ist er eine Hoffnung, die nicht enttäuscht werden kann, weil sie über unser Leben und unser Sterben hinausreicht. Er wird unsere Sehnsucht stillen. In ihm finden wir den Frieden, den unser Herz sich so sehr wünscht.
Der Heilsplan Gottes zieht sich hindurch durch die Jahrtausende und die ganze Geschichte dieser Welt. Und Gottes Ziel mit uns ist ein Happy End im besten Sinne. Dass nämlich all das, was in uns und um uns verwundet und zerstört ist, was abgestorben und tot ist, wieder heil wird, heil an Leib und Seele. Mit der Liebe, die auch alte Wunden heilt, will er auch heute Wohnung finden in den Herzen der Menschen.
Komm o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist. Amen
Pfarrer Rainer Janus
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