Wort zum Sonntag – 25. Oktober 2020
Ich weiß nicht, wie das an anderen Orten ist, aber wenn Sie durch die verschiedenen Neubaugebiete in Friesenheim gehen, dann können Sie auch am Sonntag den unverkennbaren Sound von Betonmischmaschinen hören.
Nicht nur drüben im säkularen Frankreich, auch hier in unserem Land, werden am Sonntag Kotflügel und Kühlerhauben poliert, nach einem späten Frühstück mit frischen Brötchen vom Bäcker, der selbstverständlich auch am Sonntag sein Ladengeschäft für uns geöffnet hat.
Das ist die Sonntagskultur in unserer Gesellschaft. Das haben die Menschen heutzutage aus dem Gebot der Feiertagsheiligung gemacht. Und manchmal kommt die Kirche heute in die Situation der Pharisäer damals, dass sie nämlich an den Schutz des Feiertags erinnern muss, der in den 10 Geboten begründet ist und im Grundgesetz garantiert wird.
Aber: Es steht der Kirche nicht gut an, wenn sie den Zeigefinger erhebt und mahnt. Und es steht der Kirche auch nicht gut an, wenn sie so gesetzlich wird, wie die Pharisäer zurzeit Jesu. Die Kirche sollte vielmehr Verständnis aufbringen für die Situation der Menschen, für ihre Sorgen und auch für die Sachzwänge, denen sie unterliegen. Und Kirche sollte gleichzeitig die Chancen und Möglichkeiten aufzeigen, die uns die Heiligung des Feiertags eröffnet. Die zehn Gebote Gottes sind nämlich in Wirklichkeit gar keine Verbote. Sie sind zu verstehen als Chancen und Angebote für ein gelingendes Leben in der Gemeinschaft aller Menschen. Unser Gott ist kein „Es-ist-nicht-erlaubt-Gott“, der alles verbietet, sondern ein Gott, der mit seinen Geboten Freiräume schaffen will zu einem guten und gelingenden Leben.
Hören wir also auf das, was die Menschen beschäftigt. Hören wir, was ein Handwerker über seine Sonntage erzählt: „Gerne würde ich an Sonn und Feiertagen mal ausspannen. Aber das geht nicht. Die Auftragsbücher sind – Gott sei Dank – voll. Wir arbeiten 6 Tage in der Woche. Aber der Markt ist eng und die Konkurrenz schläft nicht. Jeder muss sehen, wo er bleibt, und man hat schließlich auch Verantwortung für die Mitarbeiter. Am Sonntag sitze ich im Büro und erledige den ganzen Schriftkram. Das muss auch gemacht werden: Angebote und Rechnungen schreiben, Kontoauszüge prüfen usw. Ausspannen kann ich nur im Sommer mit der Familie, wenn wir im Urlaub sind. Aber dieses Jahr haben wir wegen Corona darauf verzichtet.“
Es gibt ganz verschiedene Berufsgruppen, die traditionell am Sonntag arbeiten. Ich denke an die Krankenschwester oder den Arzt im Krankenhaus. Ich denke auch an den Gastwirt und die Bedienung, die seit alters her am Sonntag arbeiten. Aber in der Regel haben diese Berufsgruppen an einem anderen Tag der Woche dann frei. Unser Handwerksmeister arbeitet 7 Tage die Woche.
Hören wir, wie eine Hausfrau den Sonntag erlebt: „Ich bin nicht nur Hausfrau, ich bin halbtags berufstätig, wenn die Kinder in der Schule sind. Am Sonntag wird all das erledigt, was die Woche über liegen bleibt. Das heißt auch Wäsche waschen, die am Montag wieder gebraucht wird. Aber weil wir spät frühstücken, fällt das Mittagessen flach. Abends lassen wir meistens eine Pizza kommen. Der Sonntag ist gut, weil man miteinander reden kann und Kräfte sammeln für die nächste Woche.“
Auch die Hausfrau gehört zu den Berufen, die traditionell sonntags nicht einfach frei haben. Die Sorge für Haushalt und Familie beschäftigt sie auch an Sonn und Feiertagen. Verbunden mit Berufsarbeit führt das dazu, dass der Sonntag herhalten muss, für all das, was in die Arbeitswoche nicht mehr hinein passt.
Lassen wir noch einmal eine Berufsgruppe zu Wort kommen, die seit je her am Sonntag arbeiten musste. Hören wir, was ein Landwirt zu sagen hat: „Für den Großvater war das keine Frage. Der hatte noch Vieh im Stall und das musste versorgt werden, auch an Sonn und Feiertagen; und trotzdem war der Sonntag ein besonderer Tag. Nach der Arbeit im Stall hat man sich umgezogen und am Abend wieder. Heute ist das anders. Wir haben kein Vieh mehr. Und auch in der Landwirtschaft kann man sich die Arbeit heute einteilen. Wir arbeiten am Sonntag nicht und wenn, dann sind das Notfälle, die sich in der Erntezeit ergeben, wenn schlechtes Wetter angesagt ist. Das kommt selten vor. Der Großvater hat gesagt: Da liegt kein Segen drauf.“
Die Zeiten ändern sich. Und mit den Veränderungen vollzieht sich auch ein Wandel in den Wertvorstellungen. Aber während die einen dankbar sind, dass sie sonntags nicht mehr arbeiten müssen, wie die Vorfahren, opfern andere den freien Tag, um Unerledigtes aufzuarbeiten. In der jüdischen Tradition heißt es: Der Sabbat macht den Bettler zum König. Und im jüdischen Sabbatgottesdienst wird der Sabbat begrüßt wie ein festlicher Gast.
Das ist auch der Sinn des Sabbats. Sechs Tage sollt ihr arbeiten und all euer Werk tun, der siebte Tag aber soll ein Ruhetag sein – ein Tag, der als willkommene Unterbrechung Woche für Woche aufs Neue freudig erwartet und begrüßt wird. Sonntag heißt Pause machen, ausspannen, auf andere Gedanken kommen. Und je mehr die Arbeit uns Menschen fordert und in Anspruch nimmt, desto wichtiger ist die freie Zeit und der freie Tag für unsere Gesundheit im Hinblick auf Leib und Seele.
Wenn es am Ende von einem Menschen heißt „Sein Leben war Arbeit“, dann stimmt da etwas nicht. Denn Leben muss mehr sein als Arbeit. Das Sprichwort sagt: Arbeit ist das halbe Leben. Es erinnert uns daran, dass es auch noch die andere Hälfte gibt, also die Zeit, die wir zweckfrei nützen und mit Spiel und Spaß verbringen, die Zeit, die wir den Menschen um uns herum widmen, und nicht zuletzt die Zeit, in der wir nach dem Sinn und dem Ziel unseres Lebens und nach Gott fragen.
Die Bibel berichtet davon, dass die Jünger Jesu gegen das Sabbatgebot verstoßen haben, indem sie auf den Feldern Ähren ausgerauft haben. Der Evangelist Markus berichtet: „Und es begab sich, dass Jesus am Sabbat durch ein Kornfeld ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen. Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist? … Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.“
Jesus sagt: Der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen. Hüten wir uns davor, andere als Sabbatschänder zu verurteilen, die von irgendwelchen Sachzwängen getrieben, den Sonntag für sich selbst zum Werktag machen. Aber bleiben wir wachsam da, wo in der Arbeitswelt aus Gründen des Profits Menschen zur Sonntagsarbeit genötigt werden.
Immer wieder versucht der Mensch sich zum Herren über den Sabbat aufzuschwingen. Aber da, wo der Mensch Herr sein will über den Sabbat, da macht er ihn kaputt. Es ist ein Unterschied, ob jeder einen freien Tag hat, der eine den Montag, der andere Mittwoch, oder ob die Familie und die Gesellschaft einen gemeinsamen freien Tag haben.
Jesus sagt: Der Menschensohn ist Herr auch über den Sabbat. Das Geschenk, das er uns mit dem Sabbat gegeben hat, sollen wir nicht achtlos verkommen lassen, sondern immer wieder neu und ganz bewusst annehmen und uns dankbar darüber freuen. Und wir sollten immer wieder darüber nachdenken, was uns wichtiger erscheint, die Marktlage, die Sachzwänge, der Profit, die scheinbaren Notwendigkeiten des Berufes, oder aber das Geschenk Gottes und damit unsere Gesundheit, unsere Familie, die Freunde und die Freude am Leben. Den Menschen kann man zu seinem Glück nicht zwingen. Aber man kann ihm bewusst machen, was alles auf dem Spiel steht.
Wenn ein Mensch 70 Jahre alt geworden ist, wie viele Sonntage hat er dann gehabt? Die Rechnung ist ganz einfach. Von 7 Tagen war einer Sonntag und von 70 Jahren waren 10 Jahre Sonntage: 3650. Eine Menge freier Zeit, die sicherlich ein Leben prägen und heilsam verändern kann. Da liegt Segen drauf.
Lassen wir also den Menschensohn Herr sein über den Sabbat – auch in dem Sinne, dass wir einen Anteil dieser freien Zeit ihm widmen. Schon im allerfrühesten Christentum wurde in der Frühe des ersten Tages in der Woche die Auferstehung Jesu gefeiert. Jeder Sonntag ist ein kleiner Ostertag. Und das war die Entdeckung, die die Menschen von Anfang an mit unserem christlichen Glauben machten: Dass Leben mehr ist als ein Laufen und Rennen bis zum Grab. Die Feier des Sonntags war von Anfang an ein Bekenntnis zum Glauben an das ewige Leben. Und ein jeder Sonntag ist für uns als Christen ein Atemholen, ein Kraft schöpfen, für all die Aufgaben, die das Leben uns stellt. Der Gottesdienst gibt uns Trost und Orientierung im Blick auf die Zukunft, der wir entgegeneilen. Und er stärkt in uns das Vertrauen, dass Gott mit seinem guten Willen uns begleitet in Zeit und Ewigkeit. Amen
In diesem Sinne wünsche ich einen gesegneten Sonntag.
Pfarrer Rainer Janus