Wort zum Sonntag – 4. Juli 2021

Im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt der Apostel Paulus:

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft.

Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.«

Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?

Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die da glauben.

Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.

Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind. (1. Korinther 1, 18-25)

Ein guter Werbefachmann bringt alles unters Volk. Marketing nennt sich der große Wirtschaftsbereich, der sich mit der Vermarktung von Waren und Dienstleistungen beschäftigt. Wichtig ist dabei, von der Attraktivität eines Produktes überzeugt zu sein - nur dann wird es gelingen, dieses Produkt auch für andere als positiv, sinnvoll und nützlich darzustellen. Manches wird beschönigt: Wir erinnern uns alle noch gut daran, dass Tabakqualm als Duft der großen weiten Welt verkauft wurde und die Abhängigkeit vom Nikotin als die große Freiheit.

Der Apostel Paulus kann kein guter Marketingexperte gewesen sein. Sein Auftrag war: Menschen in den Dienst unseres Herrn Jesus Christus zu rufen, ihnen die frohe Botschaft von der Erlösung dieser Welt durch sein Sterben am Kreuz von Golgatha zu verkünden. Und dann geht er hin und bezeichnet diese frohe Botschaft als Torheit. Glaubt der große Apostel und bedeutende Missionar wirklich, dass er jemanden für die Sache Jesu Christi gewinnen wird, wenn er seine Predigt als etwas Dummes und Unvernünftiges hinstellt?

Es wäre ja noch irgendwie zu ertragen, wenn Paulus den Korinthern geschrieben hätte: Im Wesentlichen ist das Evangelium und damit unser Glaube und unser Predigen eine sehr vernünftige, heilsame und hilfreiche Sache. Natürlich enthält unser Glaube auch einige unverständliche Elemente, aber das sind eher Dinge am Rande. Aber nein, Paulus bleibt dabei: wir predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit. Nicht irgendwelche Dinge am Rande sind unvernünftig, sondern die Mitte des Evangeliums. Der Tod Christi am Kreuz ist der Sieg, der diese Welt überwunden hat. Da muss die menschliche Vernunft kapitulieren, oder sie hört auf Vernunft zu sein - sie hat ihre Grenze erreicht.

Der ehemalige Pharisäer und Schriftgelehrte Paulus weiß sehr wohl, dass sein Brief nicht sehr werbewirksam ist. Aber wie der Prophet Jesaja, auf den er sich beruft, kann er den Korinthern die Enttäuschung über ihre Vernunft nicht ersparen. Und auch uns bleibt es nicht erspart, etwas Unvernünftiges, Törichtes, anscheinend Sinnloses als Mitte des Glaubens vorgesetzt zu bekommen: Das Wort vom Kreuz.

Wer das nicht verstehen kann, befindet sich in bester Gesellschaft. Zu allen Zeiten gab es kluge und gelehrte Leute, die mit einem gekreuzigten Gott nichts anfangen konnten. Sie fühlten sich von Paulus geradezu verhöhnt und haben deshalb einen großen Bogen um die Kirche gemacht. Was sollten sie mit einem Gott anfangen, der alle Weisheit dieser Welt als Summe der Unvernunft hinstellt.

Hier ist Paulus an einem kritischen Punkt angelangt. Hier könnte er leicht missverstanden werden. Aber Paulus verurteilt ja nicht im Namen Gottes Vernunft und Wissenschaft. Er meint nicht: je unvernünftiger, desto frommer. Das wäre ein böses Missverständnis.

Vernunft und Intelligenz haben ihren Wert als gute Gaben Gottes. Nur dürfen wir von unserer menschlichen Vernunft nicht erwarten, dass sie vermag, "uns selig zu machen". Das ist auch der Grund, warum Gott einen anderen Weg gegangen ist, einen Weg, der der Vernunft nicht zugänglich ist: den Weg der Liebe. Und wer einmal geliebt hat der weiß, wie die Liebe jeder Marketingstrategie spottet. Sie verschenkt sich selbst, ohne eine Gegenleistung zu fordern.

Durch das Opfer Jesu Christi am Kreuz hat er in seiner großen Liebe denen, die er zum Leben geschaffen hat, den Weg zur ewigen Seligkeit eröffnet. Es ist das Anliegen des Apostels auf diesen Weg der Liebe hinzuweisen. Aber Paulus gefällt sich nicht darin, irgendetwas zu beschönigen. Es geht ihm um die ungeschminkte Wahrheit und darin steht er in einer guten Tradition. Jesus selbst hat seinen Ruf in die Nachfolge nicht gerade werbewirksam verpackt, wenn er sagt: "Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach." Und ich denke, das ist bis auf den heutigen Tag die Aufgabe der Predigt geblieben: Sie soll zur Nachfolge einladen - aber nichts beschönigen. Sie soll die frohe Botschaft von der Erlösung dieser Welt ungeschminkt verkünden. Und sie soll aller Klugheit und Vernunft die Liebe Gottes gegenüberstellen - auch wenn das nicht gerade den Regeln der Werbefachleute entspricht.

Uns heutigen geht es nicht anders als den Juden und Griechen damals in Korinth. Auch wir hätten gerne Zeichen: So ein kleines Wunder, das uns davon überzeugen würde, dass es diesen Gott wirklich gibt und dass er wirklich Macht hat. Natürlich könnte ein einziges Zeichen allein gar nichts beweisen. Und selbst bei einer ganzen Reihe von Zeichen und Wundern würden Zweifel an uns nagen. Schließlich lässt sich so gut wie alles auch durch den Zufall erklären.

Schon zu Jesus haben die Pharisäer und Schriftgelehrten gesagt: Meister, wir wollen gerne von dir ein Zeichen sehen! Aber Jesus verweigert ihnen ein Wunder zur Legitimation seiner Gottheit, denn die Wunder kommen aus dem Glauben und nicht etwa umgekehrt der Glaube aus den Wundern. Das Wagnis des Glaubens bleibt uns nicht erspart, und wir werden Gottes Liebe auch nicht mit unserem Verstand begreifen lernen. Meine Wege sind nicht eure Wege und meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, spricht der Herr, sondern soweit der Himmel höher ist als die Erde sind meine Gedanken höher als eure Gedanken und meine Wege als eure Wege.

Heute sind es oftmals sehr gebildete und kluge Menschen, die auf die Grenzen unserer menschlichen Vernunft hinweisen. Und vielleicht sollten auch wir uns immer wieder einmal bewusstmachen, dass manch schwierige Erkenntnisse dem Herzen und der Seele eher zugänglich sind als dem Verstand. Beim kleinen Prinzen von Antoine de St. Exupery heißt es sogar: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.

Die Gemeinde in Korinth, an die das Schreiben des Apostels gerichtet ist, hatte von Anfang an Probleme. Es gab nationale, weltanschauliche und gesellschaftliche Unterschiede, so dass sich schnell einzelne Gruppierungen bildeten. Die Gruppierungen begannen unter dem Einfluss von verschiedenen Missionaren ihr eigenes Glaubensleben zu entwickeln. Das Ergebnis: Die Gemeinde war gespalten und es gab Streit zwischen den einzelnen Gruppen. In dieser Situation ruft Paulus dazu auf, sich auf das Wesentliche zu besinnen - um der Einheit willen. Im Lauf der Kirchengeschichte bis auf den heutigen Tag hat es immer wieder Menschen gegeben, die sich von der Gemeinde abgespalten haben, weil sie in einzelnen Fragen ihr eigenes Glaubensleben entwickelt haben.

Aber Paulus weißt in diesem Zusammenhang auf das Wesentliche hin, das es über alle Einzelfragen hinweg wahrzunehmen gilt: Die Liebestat Gottes macht uns über alle Grenzen der gesellschaftlichen Klassen, der politischen Ausrichtung und der persönlichen Ansichten zu Schwestern und Brüdern unter dem einen Herrn Jesus Christus. Der jüdische Gottesglaube und die griechisch-hellenistische Kultur bildeten fundamentale Gegensätze, aber der Sohn Gottes hat sich geopfert und damit selbst den Gegensatz zwischen Gott und Menschheit überbrückt. Das ist das Wunder der Liebe, dass sie Menschen über alle trennenden Unterschiede und Grenzen hinweg vereint.

Ich möchte schließen mit einem Gedanken, den ich bei Goethe gefunden habe. Da heißt es:

„Sieht man vom Markt in die Kirche hinein,
Da ist alles dunkel und düster.
Kommt aber nur einmal herein,
Begrüßt die heilige Kapelle!
Da ist's auf einmal farbig helle.“

So ist es auch mit der Heilstat Gottes am Kreuz. Wer sie nur von außen betrachtet, dem erscheint sie sinnlos und töricht. Aber so, wie ein Kirchenraum von innen betrachtet in farbiges Licht getaucht Form und Gestalt gewinnt, so gewinnt aus der Perspektive des Glaubens der Kreuzestod Christi Bedeutung für unser Leben. Sein Leiden gibt unserem Leiden einen Sinn, denn durch sein Sterben hat unser Leben eine Zukunft gewonnen. Von dieser Zukunft her betrachtet wird unser Leben aus dem grauen Todesalltag herausgerissen und findet in der bunten Vielfalt der Liebe Gottes Aufgabe, Sinn und Erfüllung.

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft. Als der Apostel Paulus diese Zeilen schrieb hoffte er natürlich, dass keiner verloren geht, sondern dass ein jeder durch das Wort vom Kreuz eine neue Perspektive für sein Leben gewinnt. Amen.

Ihr Pfarrer Rainer Janus