Wort zum Sonntag – 06. Dezember 2020

Das Bibelwort zum zweiten Sonntag im Advent steht im Jakobusbrief:

So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn.

Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.

Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe. (Jak 5, 7.8)

Warten ist nicht immer angenehm. Manch einer sitzt mit Sorgen im Wartezimmer einer Arztpraxis, weil er auf das Ergebnis einer Untersuchung wartet. Wir alle warten auf das Ende der Kontaktbeschränkungen, auf ein Ende der Pandemie.

Im Grunde sind wir das Warten aber gar nicht mehr gewohnt. Warum ist das Leben eigentlich nicht so eingerichtet, dass das, wonach wir uns sehnen und was wir uns wünschen, sofort und auf der Stelle geschieht! Unsere immer schnelllebigere Zeit suggeriert uns, dass auf Knopfdruck alles sofort zu haben sei. Amazon und Ebay lassen grüßen. Und wenn es einmal nicht klappt, aus welchem Grund auch immer, dann gibt’s enttäuschte Gesichter.

Aber warten, sich gedulden, einen langen Atem haben, das gehört zu unserem Leben. Kinder müssen das lernen. Und manchmal müssen auch wir Erwachsenen das geduldige Warten von neuem lernen. Der Zauberer, der mit seinem Zauberstab und einem lauten Knall alle Wünsche in Erfüllung gehen lässt, den gibt es nur im Märchen. Im wirklichen Leben braucht es den langen Atem und die Geduld.

Ich denke an die Eltern, die sich über die Geburt ihres Kindes freuen: Da schaut uns ein gerade zur Welt gekommenes Menschlein freundlich an und steckt uns an mit seinem Lächeln und seinen großen Augen. Aber wie viel Fürsorge Tag für Tag ist nötig, bis in 18 Jahren aus einem solchen Menschlein ein erwachsener Mensch wird. Wie viel elterliche Sorge ist zu ertragen, wie viel ratlose Stunden sind durchzustehen, wie viel Unvorhersehbares muss ausgehalten werden!

Wachsen muss das kleine Menschlein von ganz alleine, muss die eigenen Fähigkeiten entdecken lernen, vom Kriechen zum Krabbeln, vom Sitzen zum Stehen und schließlich zum Gehen, zum Laufen finden – von der spielerischen Phantasie hin zur gelenkten Kreativität, vom Kindergarten zur Schule bis hinein in die Welt der Arbeit und des Berufes. Ein langer Atem ist da nötig, für Eltern und Erzieher genauso wie für den werdenden Menschen selber, der es gar nicht abwarten kann, endlich volljährig zu sein, der allzu gern mit einem Knall groß und erwachsen werden würde und die Probleme von Jugend und Pubertät am liebsten schon hinter sich hätte!

Unser Bibelwort zur Predigt nennt das Beispiel des Landwirts. Der Landwirt sät, aber er kann eben auch nicht an einer Pflanze ziehen und reißen, damit sie schneller wächst. Wachsen geschieht im Verborgenen, in der Ruhe, Wachstum braucht seine Zeit. Den natürlichen Wechsel von Sonnen-schein und Regen gilt es abzuwarten. Und keiner kann im Frühjahr sagen, wie im Herbst die Ernte sein wird. Der Landwirt braucht eine ganze Menge Gelassenheit und die Hoffnung und das Ver-trauen, dass die Saat aufgeht, auch wenn man das nicht sehen kann, dass alles gedeihen und wachsen wird, und dass man am Ende eine Ernte einbringen wird.

Was für das Leben auf dieser Welt gilt, gilt genauso für unsere Beziehung als Christen zu Gott. Es ist sehr menschlich, wenn wir uns einen machtvollen Gott wünschen, der seine Macht für alle sichtbare und deutlich erweist und es damit allen einfach macht, ihn zu erkennen. Die ersten Christen haben sich vorgestellt, dass noch zu ihren Lebzeiten Jesus Christus in all seinem Glanz und seiner Hoheit, seiner göttlichen Macht und Größe auf die Erde zurückkehren und als König aller Königreich und Herrscher aller Welt zugleich für alle sichtbar seine Herrschaft der Liebe aufrichten würde.

Und wie dann einer nach dem anderen in der christlichen Gemeinde gestorben ist und sein Leben beendet hat, ohne dass das von allen erwartete Ereignis des zweiten Kommens Christi eingetreten wäre, da findet der Apostel die Worte der Mahnung zur Geduld: Alles Leben auf dieser Welt braucht Geduld. Auch wir brauchen sie in unserem Verhältnis zu Gott.

In einem unserer Adventslieder Heißt es: O Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf. Auch wir wünschen uns, dass Gott die Probleme dieser Welt und vielleicht auch unsere ganz persönlichen Probleme mit einem Schlag lösen würde. Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt?

Aber Gott ist eben kein Zauberkünstler, der mit seinem Zauberstab und einem lauten Knall sein Reich der Liebe und des Friedens aufrichtet. Gott hat die Gestaltung dieser Welt in die Hände seiner Geschöpfe gelegt. Durch uns bricht etwas von seiner Barmherzigkeit und Liebe in diese Welt herein, immer da, wo wir in seinem Geiste der Liebe handeln.

Dabei stoßen wieder und wieder an unsere Grenzen: Zu groß, zu viel sind der Aufgaben, die angegangen werden müssen. Wir können nicht absehen, wie wir mit den Herausforderungen fertig wer-den, vor die uns der Zuzug der Flüchtlinge stellt. Gleichzeitig brauchen Menschen in Hungergebieten und Entwicklungsländern unsere Hilfe. Wir packen Weihnachtspäckchen für die Kinder der Lahrer Tafel und helfen im Freiwilligendienst des Seniorenheimes mit. Und spenden sollen wir dann auch noch.

Und trotzdem sagen viele Ehrenamtliche, dass sie in dem, was sie tun auch Sinn für ihr eigenes Leben finden. Auf einmal erkenne ich im Bruder, der Schwester, dem Mitmenschen, dem ich begegne, für den ich mich einsetze, Jesus Christus. Was ihr getan habt, einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan. Ich werde erfüllt von neuer Zuversicht, die kein Mensch künstlich machen kann, sondern die nur und ausschließlich Geschenk ist.

Unser Bibelwort lenkt unseren Blick auf das Ziel unseres Handelns. Der Apostel mahnt: „Seid nun geduldig, verfallt nicht in Resignation, es ist niemandem damit geholfen!“ Die „köstliche Frucht“ eures geduldigen Einsatzes im Namen Jesu Christi wird euch nicht vorenthalten werden.

Warten heißt also nicht, die Hände in den Schoß legen und nichts tun. Wir sollen und dürfen die Zeit des Wartens ausfüllen, in dem wir schon jetzt leben, was wir im Reiche Gottes erwarten: Liebe und Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Frieden.

Die Adventszeit will uns die Kunst des geduldigen und dennoch nicht untätigen Wartens neu lehren. Manchmal wird uns mehr abverlangt als die paar Nächte bis zum Heiligen Abend. Aber gerade dann gilt die Zusage unseres Predigttextes, dass der Geduld, dem langen Atem, eine Verheißung innewohnt. Kein Zauberstab, kein lauter Knall – wohl aber die leisen Dinge, die sich begeben zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mensch und Gott und wo unsere Welt ein freundliches Ge-sicht bekommt, weil der Geist der Liebe lebendig ist. Nütze die Zeit. Alles, was im Namen der Liebe geschieht, ist niemals vergeblich. Amen.

Pfarrer Rainer Janus

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