Wort zum Sonntag – 27. September 2020

„Es gibt nur eine Gerechtigkeit.“

Der Totengräber war ein älterer Herr, der mit seinem weißen Haar eine gewisse Würde ausstrahlte. Und wenn ich als junger Vikar zu einer Beerdigung auf den Friedhof kam, begrüßte er mich stets mit den Worten: „Es gibt nur eine Gerechtigkeit.“

Der Friedhof als Arbeitsstätte, die Nähe zu den Toten und der Umgang mit den Leidtragenden hatten ihn geprägt.

„Gerechtigkeit“ damit meinte er wohl den Tod und die Tatsache, dass wir alle sterben müssen.

Aber stellt denn die Tatsache, dass wir alle sterben müssen, die Gerechtigkeit wieder her? Ist der Tod wirklich die einzige und letzte Gerechtigkeit, die es in dieser Welt geben kann? Ist dieses Leben nicht mehr als ein Weg zum Grab?

Die Furcht vor dem Tod hat auch den Apostel Paulus sehr beschäftigt. Er ist auf seinen Reisen dem Tod sehr nahe gekommen, hat Schiffbruch erlitten, ist krank geworden, wurde ausgepeitscht und ins Gefängnis geworfen. Aber er spricht von einer Hoffnung, die über das Sterben und den Tod hinausreicht.

In seinem 2. Brief an Timotheus schreibt er: Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.

Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium. (2. Tim 1, 7-10)

Der Gott, der in Jesus Christus für uns in den Tod gegangen und am dritten Tage auferstanden ist, will mehr als die Gerechtigkeit des Todes. Er will mehr als Auge um Auge und Zahn um Zahn. Er will, dass wir durch den Geist der Liebe zur Versöhnung und zum Frieden finden über den Tod hinaus.

Paulus war als Gefangener nach Rom gebracht worden. Er ahnte oder wusste, dass er sterben muss. Und auch er stellte die Frage nach der Gerechtigkeit. Kann es gerecht sein, einen Menschen zu Tode zu verurteilen, weil er den Menschen die frohe Botschaft von der Liebe Gottes überbrachte? Kann ein Todesurteil überhaupt gerecht sein, oder gar im Sinnes des Gottes, der das Leben liebt?

In dieser Lage schreibt er an Timotheus, seinen vertrauten Mitarbeiter zeitweiligen Begleiter auf seinen Missionsreisen, der ohne ihn den Auftrag der Verkündigung fortführen soll. Paulus bittet nicht um Hilfe und Unterstützung in dieser schweren Situation. Er ruft auch nicht zu Rache und Gewalt gegen das römische Reich und den Kaiser auf. Paulus klagt noch nicht einmal. Stattdessen erinnert er Timotheus und uns alle an die beiden wichtigsten Grundlagen unseres Glaubens. Er erinnert an die Hoffnung und die Liebe.

Die Begriffe Glaube, Hoffnung und Liebe ziehen sich durch die gesamten Briefe des Apostels hindurch und am bekanntesten ist wohl das Hohelied der Liebe im ersten Korintherbrief, Kapitel 13, wo es heißt: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die Größte unter ihnen.

Der Apostel fragt in seiner Todeszelle nach dem was bleibt, wenn sein Leben erlischt. Seine Hoffnung gründet sich auf Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium. Genaugenommen, sagt Paulus, existiert diese Hoffnung von Anfang an. Und nicht die Menschen haben sich diese Hoffnung verdient, sondern sie entspringt dem liebevollen Schöpfungswillen Gottes. Aber durch den Tod und die Auferstehung Jesu ist sie offenbar geworden.

Paulus wird zum Märtyrer, verfällt aber keineswegs dem Fatalismus und ergibt sich in sein Schicksal, sondern er geht aufrecht in den Tod in der Hoffnung auf ein Leben im Angesicht Gottes. Er trägt den Geist der Liebe in seinem Herzen, der Kraft und Besonnenheit schenkt. Er weiß, dass er aus Gottes liebevollen Vaterhänden nicht herausfallen kann, nicht im Leben und nicht im Sterben.

Unter den Menschen wächst die Angst vor der Zukunft. Aber Angst ist ein schlechter Lebensberater. Durch den Glauben schenkt uns Gott den heiligen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit und die Hoffnung des ewigen Lebens, damit wir getrost unseren Weg in die Zukunft gehen. Ein anderer Märtyrer, Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, hat das so ausgedrückt: Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem Tag. Amen.

Pfarrer Rainer Janus

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