Wort zum Sonntag – 05.07.2020

Liebe Leserinnen und Leser,

es geht dem Apostel Paulus um die Frage, was stärker ist: die Liebe oder die Angst und der Hass.

Und es geht ihm darum, die Antwort auf diese Frage nicht in philosophischen Sätzen und Gedankenspielen zu formulieren, sondern sie im Vollzug des Lebens unter den Bedingungen des Alltags praktisch durchzubuchstabieren.

Er schreibt in seinem Brief an die Gemeinde in Rom: Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.

Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, so gib ihm zu essen; dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln«. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Röm 12, 17-20)

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Wie soll das gehen, Böses mit Gutem zu überwinden? Wird das Gute nicht stets unterliegen?

In den Jahren 109 bis 113 war der römische Schriftsteller Plinius als kaiserlicher Legat in die Bithynien und Pontus, im Norden der heutigen Türkei. Dort wird Plinius zum ersten Mal mit dem sogenannten Christenproblem konfrontiert: Wie ist mit diesen Leuten zu verfahren, die die Staatsreligion, den Kaiserkult, nicht anerkennen? Plinius schreibt nach Rom an den Kaiser Trajan und bittet um Anweisungen, wie mit solchen Leuten umzugehen sei. In seinem Brief heißt es: Einstweilen bin ich mit denen, die als Christen angezeigt werden, folgendermaßen verfahren: Ich habe sie gefragt, ob sie Christen seien. Gestanden sie, so habe ich Ihnen unter Androhung der Todesstrafe ein zweites und drittes Mal dieselbe Frage gestellt. Beharrten sie bei ihrem Geständnis, so habe ich sie zur Hinrichtung abführen lassen.

Der römische Kaiser Trajan richtet ein Antwortschreiben an seinen Gesandten, in dem er ihm mitteilen lässt: Du hast ein völliges korrektes Verfahren eingeschlagen. Fahnden soll man nicht nach den Christen, wenn sie aber angezeigt und überführt werden, muss man sie bestrafen, so jedoch, dass einer, der leugnet, Christ zu sein, und dies durch die Tat, d. h. durch den Vollzug eines Opfers für unsre Götter unter Beweis stellt, aufgrund seiner Reue zu begnadigen ist.

Ich stelle mir vor, dass Christen in jener Zeit dieses Wort aus dem Paulusbrief lesen. Sie leben in einem Staat, der die Religion der Liebe bekämpft. Sie leben in einer Situation ständiger Angst. Jederzeit können sie beim kaiserlichen Legaten denunziert werden. Ständig müssen sie um ihr Leben fürchten.

Sie lesen die Aufforderung: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Denen, die sie verfolgen, sollen sie wohl tun? Denen, die ihnen nach dem Leben trachten, mit Liebe begegnen? Das ist eine Herausforderung, die ihresgleichen sucht. Ist das überhaupt möglich? Kann die Liebe solche Angst und solchen Hass überwinden?

Das Gesetz der Vergeltung rechnet Paulus „dieser Welt“ zu. Als Christen aber sind wir „dieser Welt“ entfremdet. Für uns gilt das Gesetz Christi. Und das Gesetz Christi ist das Gesetz der Feindesliebe, das Gesetz der Versöhnung. Einer trage des andern Last.

Kaum einer von denen, die heute von der Kirche Wertevermittlung und Moralerziehung erwarten, macht sich klar, wie radikal „das Gesetz Christi“ ist. Feindesliebe ist weit mehr als Nettsein, ein wenig Anstand und eine Prise Hilfsbereitschaft. So wohltuend diese Tugenden im Weltalltag auch sein mögen: Für Bürgerinnen und Bürger des Reiches Christi gilt: „Vergeltet niemand Böses mit Bösem“. Stattdessen: „Überwindet das Böse mit Gutem.“ Es geht darum, den Teufelskreis der Angst und des Hasses zu unterbrechen mit den Mitteln der Liebe. Es geht darum, Unrecht zu leiden, wie Jesus Unrecht gelitten hat am Kreuz. So wie er, so sollen auch wir Christen leben, wenn wir uns nach seinem Namen nennen: gleichgesinnt, brüderlich, ohne Böses im Sinn zu haben, ohne Hass und Mittel der Gewalt, mit nichts als Liebe im Herzen. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.

In Brief des kaiserlichen Legaten hieß es: Einstweilen bin ich folgendermaßen verfahren: Ich habe sie gefragt, ob sie Christen seien. Gestanden sie, so habe ich Ihnen unter Androhung der Todesstrafe ein zweites und drittes Mal dieselbe Frage gestellt.

Manch einer mag sich gefragt haben: Was soll das, welchen Sinn kann das haben: um des Glaubens willen, die Todesstrafe zu leiden. So wichtig kann noch der Glaube gar nicht sein, jedenfalls ist das Leben wichtiger, und schließlich hat man Familie und Kinder und damit auch eine Verantwortung.

Wer leugnet Christ zu sein und dies durch die Tat d. h. den Vollzug eines Opfers für unsre Götter unter Beweis stellt, ist aufgrund seiner Reue zu begnadigen, so verfügt es der römische Kaiser Trajan.

Die Verfolgungssituation führte Christinnen und Christen damals in eine innere Zerreißprobe. Wir sind heute dankbar, in einer Zeit und in einer Gesellschaft zu leben, in der die freie Ausübung der Religion garantiert wird. Wir müssen nicht um Leib und Leben fürchten, wenn wir unseren Glauben bekennen. Im Gegenteil: Das ehrenamtliche Engagement in der Kirche genießt zumindest in Teilen unserer Gesellschaft ein gewisses Ansehen. Das ist die eine Seite der Medaille, die andere kennen wir auch: Wir wissen, dass auch heute weltweit Menschen um ihres Glaubens willen verfolgt werden und auf der Flucht sind. Wir wissen, dass solche Menschen als Flüchtlinge in unseren Lande wohnen und oftmals nur geduldet werden. Dass sie in der Gefahr stehen, abgeschoben zu werden in ein ungewisses Schicksal. Überwindet das Böse mit Gutem. Könnte wenigstens in unserem Land die Liebe ein Stück von dieser Lebensangst überwinden?

Wo Menschen sind, da ist kein Friede. Schon in der Antike sprach man davon, dass der Mensch dem Menschen wie ein Wolf begegnet. Neid und Habgier verleiten zum Bösen. Dabei möchte doch jeder in Ruhe und Frieden leben. Dieser Wunsch ist verständlich und weit verbreitet unter den Menschen. Friedrich Schiller war es, der uns erinnert, dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen kann, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Manch einer hat Erfahrungen mit alltäglichen Auseinandersetzungen am Gartenzaun und im Hausflur. Manchmal geht der Riss auch mitten durch eine Familie oder es herrscht Kleinkrieg in einer Ehe. Dem bösen Nachbarn und seinem Hass ist und bleibt die Liebe ohnmächtig ausgeliefert. Überwindung von Angst und Gewalt kann nur da gelingen, wo alle die Hand zum Frieden reichen.

Hier setzt Paulus an, wenn er sagt: Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Einer muss den ersten Schritt machen. Einer muss die Hand ausstrecken. Einer muss die Initiative ergreifen. Nur wenn die Liebe sich ereignet, kann Gutes das Böse überwinden. Nur dann hat der Friede Gottes eine Chance.

Liebe ereignet sich, wo einer über seinen eigenen Schatten springt und die Hand zur Versöhnung reicht. Gott hat sich selbst überwunden, und er reicht uns am Kreuz die Hand zur Versöhnung. Er hat angefangen und er wird nicht eher ruhen, bis seine Liebe diese Welt vollständig durchdrungen hat und die Herzen aller seiner Geschöpfe erreicht. Amen.

Pfarrer Rainer Janus

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